Big Mac, Pommes & 1x Moral, bitte.

Als einer der Anführer der österreichischen Grünen sich’s ausgerechnet bei McDonald’s so richtig schmecken ließ, war er so blöd, sich beim Verschlingen seiner Riesenburgerpommesmahlzeit ,ertappen‘ (in Anführungsstrichen, weil jeder meinetwegen dort essen soll, wo er will) und fotografieren zu lassen. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich Anfang 2020 das Bild, und Twitter erbebte von Entsetzen, ,Fremdscham‘, Schadenfreude oder einfach nur Gelächter.

Dabei braucht man kein tiefer Kenner oder gar Verächter der menschlichen Natur zu sein, um zu wissen, dass es oft eine Kluft gibt zwischen Reden und Handeln.

Das Englische bringt es auf den Punkt. Wenn so etwas vorkommt, lautet der Kommentar it’s very much do as I say, not do as I do. Und ein Sprichwort sagt: actions speak louder than words. Die Rumänen empfehlen „Fă ce zice popa, nu ce face el!“ – „Tu, was der Pope sagt, nicht, was er selber tut.“

Das Deutsche fasst das Phänomen in einem einzigen Wort zusammen: Scheinheiligkeit, und es gibt die Wendung „Wein trinken und Wasser predigen“, die man aufgrund der ,österreichischen Verhältnisse‘ aktualisieren könnte: Sauerkrautsaft&Quinoa predigen und danach Cola&2xBig Mac (+große Pommes) verzehren.

Ein Tip für Habeck, den offiziellen, inthronisierten Wunschkanzler sämtlicher Kanäle des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks und Fernsehens: Burger-Lieferservice NIE anders als an die Nadelöhr-enge Pforte eines stummen, selbst von BILD nicht bestechlichen Komplizen bestellen …

Das Phänomen war selbstverständlich schon der Antike bekannt. Der wortgewaltige Sallust etwa, der in seinen Geschichtswerken entrüstet den Niedergang der altrömischen Sitten geißelt, war selbst ein höchst zweifelhafter Charakter.

Und ausgerechnet dem Philosophen Seneca, dem bis heute gern gelesenen Künder stoischer Gelassenheit und Enthaltsamkeit, wurde im römischen Senat wie ein Speer die Frage entgegengeschleudert, „mit welcher Weisheit, mit welchen philosophischen Lehrsätzen“ (qua sapientia, quibus philosophorum praeceptis) er es eigentlich geschafft habe, in vierjähriger Freundschaft mit Nero 300 Millionen Sesterzen zusammenzuraffen“ (Tacitus, Annales, XIII, 42).

Die Philosophiegeschichte liefert zahlreiche weitere recht unerfreuliche Beispiele. Jean-Jacques Rousseau etwa, auch die Ober-Menschheitsbeglücker Marx&Engels, deren – in den Quellen ausführlich dokumentierte – persönliche Gemeinheit selbst manchen Linken peinlich ist. Auch der erfolgreichste Literar-Apostel marxistischer Ideale, der boshaft-zynische Egoist B. Brecht, muss ,in der realen Welt‘ zu jener Sorte Mensch gehört haben, der man besser aus dem Wege geht …

Peinlich: Wenn ein Fake-Moralist es auch noch unternimmt, den Realismus zu rügen. So brachte etwa ausgerechnet Friedrich II. – in den wohlgefütterten Mantel der Scheinheiligkeit gehüllt – seinen ,Anti-Machiavell‘ zu Papier.

Der Widerspruch zwischen Schein und Sein liegt eben in der Natur des Menschen. Man sollte sich nicht darüber ereifern, sondern sich an die eigene Nase fassen –  und einen Sokrates bewundern, dem es gelang, Reden und Handeln auf einen Nenner zu bringen.

Eher harmlos ist, was man von einem anderen Idol der ,68er‘ – neben Marx&Engels&Brecht&Ho-Chi-Min etc. – liest. Die Rede ist von Theodor W. Adorno. Er verwandte nämlich nur einen Teil seiner Arbeitskraft auf rabiate Gesellschaftskritik, den Rest darauf, an die stoische Tradition anzuknüpfen und sich mit allen Tricks ,um’s Finanzielle‘ zu kümmern:

„Ausgerechnet dem Starkritiker und Verächter der gewinnorientierten Privatwirtschaft, Theodor W. Adorno, bestätigte Joachim Günther im Nachruf in der ,Frankfurter Allgemeinen Zeitung‘, wie sehr Adorno ein Kapitalist war, der auch noch den letzten Pfennig aus seinem Kapital zu pressen wusste. Er bewunderte nämlich Adornos ,ausgebreitete außerakademische Schriftstellerei und Vortragstätigkeit, bei der sich beide Produktionsweisen so kombinierten, daß er alle Medien der Geistesvermittlung nacheinander mit wortgetreu denselben Texten beliefern konnte, erst Vortrag- oder Diskussionsbeitrag, dann Radiosendung, dann Zeitschriften- oder Zeitungspublikation, dann  Buch‘. Auf jeder Stufe kassierte Adorno, der Spätmarxist, der sein Urheberrecht kannte, und seine Erben können es bis zum Jahre 2040, ohne einen Finger zu rühren. Und gerade diese Erben machen das gute Gewissen der Genossen noch unerklärlicher.

Die Opposition in linksbeherrschten Parlamenten sollte sich jede Erhöhung der Erbschaftssteuer nur durch einen Kompromiß abzwingen lassen: für jede Stufe ihrer Verschärfung sollte zugleich die Schutzfrist beim Urheberrecht um zehn Jahre gekürzt werden. Über Nacht wären unsere linken Erfolgsautoren die eifrigsten Verfechter der Eigentumsordnung. Vielleicht werden einige aber vorbringen, sie hätten bei der Schutzfrist nicht ans Geld für die Enkel gedacht, sondern nur an den Schutz ihrer Werke vor fremden Herausgebern, vor Verfälschung und Entstellung? Mag sein, aber das Recht auf Tantiemen und das Recht auf Kontrolle der Editionen ließen sich trennen.“

Helmut Schoeck, Die Lust am schlechten Gewissen, Freiburg im Breisgau (Herder) 1973, S. 135f.