Hase, du bleibst hier.

Beim Rückblick auf die Formen öffentlichen Diskurses im Jahr 2018, auf verschiedenste Arten von öffentlicher Information, Diskussion, Entertainment fällt mir ein merkwürdiges Spezifikum auf. In diesem Jahr sind wie nie zuvor die Grenzen zwischen den Formaten verschwommen, ja manche Kommunikationsformate verfolgen heute Intentionen, die ihren ursprünglichen Bestimmung zuwiderlaufen.

Man denke an Reportagen als Kommentar, wie bei ARD und ZDF, an Politik per Twitter, wie bei Präsident Trump, an Talkshows als Vorlesungen über Toleranz, an SchlagersängerInnen ,gegen Rechts’. Oder: an staatstragende Auftritte grölender Punker, vom Bundespräsidenten beworben!

Eine der Wurzeln dieses Prozesses ist das, was der Philosoph Rüdiger Safranski neulich treffend als Pädagogik statt Publizistik beschrieben hat. Die Täter selbst haben dafür einen herrlich Orwellschen Begriff geprägt, den des ,constructive journalism’.

,Constructive journalism’ – das heißt im Stil eines Meinungstherapeuten à la Claus Kleber von Dingen berichten, die nicht sind, aber eigentlich sein sollten: gelungene Integration und Domestizierung von Islamisten, Massen von Deutschen pro Masseneinwanderung, erfolgreicher ,Kampf gegen Rechts’, Hetzjagden.

Wenn für die letztgenannten Hetzjagden keinerlei Dokumentation vorliegt, dann muss eben eine kontextlose Sequenz verwackelter Smartphone-Aufnahmen von einer Antifa-Seite herhalten: Hase, du bleibst hier.

Noch wichtiger: Es gilt auch, solche Themen auszuklammern, zur Nichtexistenz zu verdammen, die nichts zu den pädagogischen Zielen beitragen oder diese Lernziele sogar in Frage stellen.

Eine der bemerkenswertesten Meldungen des Jahres war die folgende: Bei einer Podiumsdiskussion am 25. Oktober 2018 äußern Kai Gniffke (ARD) und Peter Frey (ZDF), vom ,Globalen Migrationspakt’ noch nie etwas gehört zu haben! Dass der Pakt dann doch zum Thema einer breiten öffentlichen Diskussion geworden ist, ging auf die sozialen Netzwerke zurück. Es ist nicht gelungen, ,den Deckel draufzuhalten’.

In denselben Zusammenhang des ,constructive journalism’  gehören selbstverständlich solche Statistiken, die die große Zufriedenheit der Deutschen belegen. Der Satiriker Bernd Zeller hat neulich die Waffen gestreckt, auf jede Persiflage verzichtet und die Bekanntgabe eines solchen Umfrageergebnisses als Klartext in seine Zeller Zeitung übernommen  – ich weiß nicht mehr, ob es um ,Merkel ist größte lebende Deutsche’ oder ,Deutsche wünschen mehr Immigration’ ging.

Reflexe dieser Auflösung der Formate oder, frei nach Friedrich Nietzsche, ihrer Umwertung, sind herrliche Wortprägungen wie ,Erziehungsfernsehen’,  ,Krimi gegen Rechts’ (,Tatort’) , ,Gebührenkomiker’ (Böhmermann) oder, noch besser, ,Staatspunker’. So die Bezeichnung für Bands wie die ,Toten Hosen’, die so beherzt, so couragiert die herrschende Politik gegen widerborstige Untertanen verteidigen, dass für diese Staatspunker eigentlich eine eigene Besoldungsgruppe plus Pensionsanspruch eingeführt werden müsste. In Ehren ergraute Pensionspunker könnten dann umherreisen und in Schulen Vorträge halten.

Der klassischen Printpresse, und zwar gerade der ,politisch korrekten’, laufen die Leser davon. So ist es nicht erstaunlich, dass die Frankfurter Rundschau bereits keine Rolle mehr spielt, und die taz die Einstellung ihrer Printausgabe avisiert hat. Solange diese Zeitungen noch existieren, wird ihr Ton nicht nur schriller, sondern immer öfter werden die Samthandschuhe ganz abgelegt.

Ein instruktives Beispiel ist die Süddeutsche Zeitung, jene Publikation, von der das journalistische Urgestein Wolfgang Röhl sagte: „Klar, in der ,Süddeutschen Zeitung’ harren keine Überraschungen auf den Leser.“

,Keine Überraschungen’? Das ist die schlimmste Oxymoronbombe, die man überhaupt auf eine Zeitung abwerfen kann, aber hier trifft sie keinen Falschen.

Denn die ,Berichte’ dieses Organs haben immer die SFP-Struktur der self-fulfilling prophecy: Wo oben in der Schlagzeile AfD, Brexit, Gauland, Israel, Orban, Seehofer, Trump steht, muss Apokalyptisches folgen, oder der weltanschaulich gefestigte Leser kündigt sein Abo.

Im Mai 2018 ging die Zeitung dabei einen Schritt zu weit. Als Mittel im Kampf gegen Israel veröffentlichte sie eine grob antisemitische Karikatur, für die sie Abbitte leisten musste. Der Karikaturist musste als Bauernopfer herhalten, ihm wurde dann gekündigt. Das Wort vom ,Süddeutschen Beobachter’ kam auf.

Im November erschien nun in der Süddeutschen ein Artikel ganz besonderer Art, eine ,Reportage’ über den Wegzug der AfD-Politikerin Alice Weidel aus Biel in der Schweiz.

Gewiss kein Thema, das besondere Aufmerksamkeit verdient: Solange Weidel Politik in Berlin macht, kann es den Lesern der Süddeutschen Zeitung eigentlich egal sein, wo sie privat wohnt, ob in Biel oder am Nordpol.

Von den beiden einzigen Informationen des Artikels, a) Weidel zieht aus Biel fort b) Weidel zieht nach Berlin, stellte sich die zweite alsbald als Fake-News heraus und musste zurückgezogen werden.

Die ,Reporterin’, eine Charlotte Theile, hatte sich in das Städtchen aufgemacht, um zu erfahren, wie es um Weidels Image dort bestellt war.1 Zu ihrem Entsetzen stellte sich heraus, dass diese und ihre Partnerin sich nichts hatten zuschulden kommen lassen. Das lesbische Paar habe Kontakt mit Flüchtlingen gepflegt, die beiden Kinder in die städtische Kita gebracht und sei „an einer guten Nachbarschaft“ interessiert gewesen. Und: Partnerin und Kinder seien ,dunkelhäutig’ [das steht wirklich so da].

Man spürt beim Lesen dieser Zeilen die Enttäuschung der Journalistin: Was um Himmels willen soll ich machen, um aus diesem Befund einen SFP-Bericht zu zimmern? Nun, zunächst einmal dekretieren, dass die Familie dort fehl am Platz war und das jetzt endlich selbst begriffen hat. Sie habe nicht nach Biel gepasst, da die Stadt für Toleranz und Buntheit stehe; ihr Weggang sei daher „eine Kapitulation“.

Im Sommer 2017 sei Weidel bei einem Fest am See mitgeteilt worden, sie sei dort unerwünscht, und sie habe das Fest verlassen; ein Vorgang, an dem die Journalistin alles in Ordnung findet. Das erinnert an die Aufforderung der taz im März dieses Jahres, den Rechten das Leben so schwer zu machen, bis „sie sich nicht mehr trauen, auch nur zum Bäcker zu gehen“. So was hat in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts schon mal in deutschen Zeitungen gestanden.

Zum angeblichen Widerspruch zwischen privatem Lebensstil und politischer Aktivität von Alice Weidel lesen wir:

„,Manchmal habe ich das Gefühl, die wissen selbst nicht, wer sie sind’, sagt ein Kulturschaffender [unklar, wer dieser ,Kulturschaffende’ (!) war; vielleicht ein Staatspunker, vielleicht der Ortsgruppenleiter der Grünen?]. Dann zuckt er die Achseln. ,Das ist nicht mehr unser Problem.’“

Wir haben es also, so will uns die Journalistin suggerieren, bei Weidel und ihrer Partnerin mit psychisch Gestörten zu tun. Auf die Idee, die eigene Optik kritisch zu prüfen und anders zu justieren, ist weder der Kulturschaffende noch die Journalistin verfallen.

Das Fazit darf eine andere Zeugin ziehen. „Eine Frau, die wie Weidel Kinder hat [auch hier völlig unbekannt, wer das war und was sie zur Weidel-Expertin macht; die Leiterin der lokalen Refugees Welcome-Gruppe?], sagt nur: ,Endlich. Eine gute Nachricht für Biel.’“ Und dieser letzte Satz muss dann auch als Titel des ganzen Artikel-Machwerks herhalten, Produkt einer ,Journalistin’, die den Leser offensichtlich für genauso borniert hält wie sie selbst.

Eine Zeitung mit Selbstachtung würde mit der Hetz-Autorin Charlotte Theile so verfahren wie mit dem Urheber der Stürmer-Karikatur im Mai: sie irgendwohin befördern, wo sie ihr Geld ehrlich verdienen müsste, und zwar mit einem ganz gewaltigen Tritt in den Allerwertesten.

 

 

1Alle Zitate aus dem Artikel „Eine gute Nachricht für Biel“ nach der Internet-Version vom 23. 11. 2018