Karibisches aus Mexiko – ¡Ha vuelto Poncho Sánchez!

Poncho Sanchez, der legendäre conguero, hat 2019 sein erstes neues Album in sieben Jahren veröffentlicht.

Trane’s Delight ist der Titel, eine Hommage an John Coltrane. Keine Empfehlung. Der Titel ließ mich – der ich Poncho seit Jahrzehnten lausche – zunächst stutzen. Coltrane ist eine jener Größen im Pantheon des Jazz, die zwar pflichtschuldigst schwärmerische Erwähnung finden, wann immer vom Saxofon die Rede ist. Im realen Leben aber wird man kaum jemanden auftreiben können, der sich freiwillig seinen Schallwellen aussetzt – so schwer verdaulich sind seine gedehnten a-melodischen Eskapaden. (1) Im verschwurbelten Bullshit-Idiom der deutschen Geisteswissenschaften (siehe meinen Blog-Eintrag Leere in Elfenbein vom 6. April 2019): Seine Künste sind intersubjektiv schwer nachvollziehbar. (2)

Meine Befürchtung, Poncho habe sich zu sehr von Meister Coltrane inspirieren lassen, erwies sich jedoch als unbegründet. Im Englischen verwenden Musik-Kritiker häufig das Adjektiv listenable für solche Musik, die wirklich den Weg ins Ohr der Hörer findet. Eminently listenable ist Ponchos Album, eine abwechslungsreiche, stets melodische tour de force durch den Kosmos des Latino-Jazz, die vorangetrieben wird durch seine oft scharfkantige, aber immer differenzierte Perkussion, mit exzellenten Bläsersätzen, Latino-Saxofon (jenem ganz eigenem Melodiestil, der von allen anderen Formen des Jazz abweicht) und Piano. Dazu der ein oder andere auf Spanisch gesungene bolero, der von der gelassenen Melancholie des Alters kündet (um die auch ich mich bemühe; bislang ohne nennenswerten Erfolg).

Bemerkenswert ist zweierlei: zum einen, welche melodischen und rhythmischen Finessen die Hände eines wahren Maestro der conga entlocken.

Zum anderen: Man würde vermuten, dass Poncho der karibisch-kubanischen Tradition entstammt, wie etwa Mongo Santamaría (Kuba), Willie Bobo (Puerto Rico), Ray Barretto (New York).

Weit gefehlt: Er ist mexikanischer Abstammung und wuchs in den Sixties ,auf der anderen Seite‘ der USA, nämlich in Kalifornien auf. ,Sánchez‘, das spanische ,Meier‘ oder ,Müller‘, schreibt er ohne Akzent, so wie auch Jennifer López den Nachnamen US-amerikanischen Gepflogenheiten angepasst hat.

Während sich Ponchos Schulfreunde wissentlich, willentlich den Lärmorgien von Jimi Hendrix, Frank Zappa, Deep Purple & Co. aussetzten oder gar, marihuanaschwadenumnebelt, dem leeren Technikbombast von Pink Floyd, begeisterte Poncho sich für die Welt der filigranen Latino-Perkussion, die – kostbaren – Ohren für später schonend.

Der Fall lässt an Cal Tjader denken, einen der ganz Großen des jazz latino, man denke nur an das eine Stück Mamblues. (3) Ein Weißer aus schwedisch-amerikanischem Elternhaus und zugleich der bekannteste Vibraphonist dieses Musikstils. Auch er wuchs in Kalifornien auf. Er versammelte Latino-Musiker um sich, vor allem die besten Perkussionisten – unter ihnen, por supuesto, Poncho Sanchez – und wurde, so die Wikipedia „the most successful non-Latino Latin musician“. Keine geringe Leistung, man denke nur an Konkurrenten wie Arturo ,Chico‘ O’Farrill.

Eine typisch amerikanische Geschichte: Als Cals Verkaufszahlen sanken, wurde er von der Plattenfirma zum Pionier des Asian-American jazz transformiert, und seine Stücke hießen fortan Tokyo Blues, Shina No Yoru oder Borneo.

Vorbei die Zeit, als seine Alben Titel wie Demasiado caliente trugen. Statt sich lasziv räkelnder – hübsch anzuschauender – Latinas aus Fleisch und Blut zierten jetzt feiste Bonsai-Figuren aus Jade das Cover des Albums Different Shades of Jade.

,Typically American‘, siehe oben, ist aber auch dies: Hier ergab sich aus kühner Synthese ein ganz eigenwilliges Werk (die CD besitze ich, das Vinyl-Album habe ich mir als Second-Hand-Angebot, zum Greifen nah, bei meinem letzten London-Aufenthalt Dezember 2018 entgehen lassen). Ein ganz ähnlicher Fall war die von der Plattenfirma initiierte Kombination von Charlie Parker mit der Big Band des unsterblichen Machito, eine Kooperation, von der jemand (ich bin im Augenblick zu faul, bei Google nachzuschlagen, wer) gesagt hat: it’s like an eagle flying over lava.

Trane’s Delight ist ein guter Anlass, die Boxen mal wieder von heißen Rhythmen beben zu lassen. Die CD erschien letztes Jahr, das entsprechende Doppelalbum auf Vinyl – von untadeliger Sound-Qualität, mit kräftigem Bass – wurde vor ein paar Wochen 2020 veröffentlicht.

Poncho Sanchez – Trane’s Delight, Concord Jazz, 2019/2020.

(1) Der Fairness halber sei hinzugefügt, dass er auf dem kommerziell erfolgreichsten Jazz-Album, Kind of Blue von Miles Davis, mitgespielt hat.

(2) Danke nochmal an meinen User B., der mir das Werk des großen Rolf Breuer zum Thema empfahl, der mit dem Laserschwert des kritischen Intellekts durch diesen Schwurbeldschungel gefahren ist.

(3) Soundjazz Records, London, hat vor einigen  Jahren eine Vinyl-Single mit zwei Versionen dieses Klassikers veröffentlicht, eine Platte, die ich zu besonderen Okkasionen auf meinem Plattenteller kreisen lasse. Das Stück ist auch auf dem Album Demasiado Caliente.