Eine Lektüreempfehlung

Letzten Sommer kaufte ich in Mailand in der großen Buchhandlung Mondadori am Dom – sie ist für deutsche Besucher ein Ort der Befremdnis, weil dort tatsächlich primär Bücher, nicht wie in der Mayerschen Seife, Badesalz und Teddybären verkauft werden, – das Buch von Massimo Fini Catilina – Ritratto di un uomo in rivolta, Marsilio editori, Venedig 2016, zuerst erschienen 1996.

Massimo Fini (geb. 1943) ist ein italienischer Krawalljournalist, der sich mit allen und mit jedem Thema anlegt. Nicht nur dem Revoluzzer Catilina widmete er seine schriftstellerischen Energien, sondern auch einem Kaiser, nämlich Nero. Beide Male ist sein Anliegen dasselbe: nach 2000 Jahren seinen Protagonisten zu rehabilitieren, ihm endlich die verdiente Würdigung widerfahren zu lassen. Sein Nerone (1993) – in dem er unter anderem in bester Karlheinz Deschner-Manier nachweist, dass selbstverständlich die Christen es waren, die Rom ansteckten – trägt daher den Untertitel ,2000 Jahre Verleumdung’, ,2000 anni di calunnie’.

In Catilina (zuerst erschienen 1996) geht es ihm darum, aus dem Schurken einen Sozialrevolutionär zu machen. Übrigens: dem dritten Bösewicht Roms, Clodius, widmete exakt nach demselben Schema der ,Rehabilitation’ ein Deutscher, Wolfgang Will, sein Buch Der römische Mob, das sogar von der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft veröffentlicht wurde, 1991, also noch vor Finis Studien. Hier eine proposition de sujet meinerseits: „Herostrat – bedeutender Baumeister der Antike.“

Catilina ist rasant und unterhaltsam geschrieben. Vor allem aber: die Erzählung der Verschwörung Catilinas und ihrer Aufdeckung ist ein ,Selbstläufer’. Hier ist als Kostprobe, im Original und dann in meiner Übersetzung, eine der Stellen, an denen Fini Sallust und Cicero, die beiden ,Verleumder’ der Lichtgestalt, in sein Zielfernrohr nimmt (S. 46); journalistisch versiert, italienisch temperamentvoll und auf engstem Raum:

Nel 44, dopo la morte del dittatore, Sallustio, bruciato politicamente, si ritirò a vita privata nella sua splendida villa immersa nei famosi orti e solo allora scoprì la degenerazione dei costumi del suo tempo e, per dirla con Fabrizio de André, «si mise a dare buoni consigli perché non poteva più dare cattivo esempio». Lo stesso discorso vale, più o meno, per Cicerone. Il moralista che nella Prima Catilinaria tuona il famosissimo «O tempora! O mores!» e che esalta, mettendosi in prima fila, i boni, i timorati degli Dei, i virtuosi , i benpensanti, è lo stesso uomo miserabile, intrigante, meschino, avido, corrotto, che spurga fuori dalle lettere private.

Im Jahre 44, nach dem Tod Cäsars, war Sallust [,als Parteigänger Cäsars,] politisch ,verbrannt’. Er zog sich daher in sein Privatleben in seiner großartigen Villa zurück, die in den berühmten Gärten versteckt war, – und jetzt erst erkannte er den Sittenverfall seiner Zeit. So verlegte er sich darauf, um es mit Fabrizio de André zu sagen, „gute Ratschläge zu erteilen, – denn ein schlechtes Beispiel geben konnte er ja nicht mehr.“ Dasselbe gilt mehr oder weniger für Cicero. Der Moralist, der in der Ersten Catilinarischen Rede das hochberühmte „Oh Zeiten! Oh Sitten“ donnert und der sich in die vorderste Linie zwängt, um die boni (die Guten), die Gottesfürchtigen, die Wohlmeinenden zu rühmen – er ist derselbe erbärmliche, intrigierende, kleinliche, habgierige, korrupte Mann, der uns aus den Seiten der Privatbriefe entgegenspringt.