Faust aufs Auge

Nach ein paar Stunden Lateinunterricht kennt jeder die beiden Vokabeln ,pugnare’ – ,kämpfen’ ,pugna’ – ,Kampf’, nicht jedem aber dürfte klar sein, dass diese unscheinbaren Wörter mitten in ein Kapitel europäischer Sprachgeschichte hineinführen.

,Pugnare’ stammt von ,pugnus’ (-i mask.), ,die Faust’, heißt also ursprünglich ,boxen’.

Wer ,pugnis ac calcibus’ kämpfte – im Italienischen ,con pugni e calci’ – stritt ,mit Fäusten und Hacken’: ein Kickboxer. 

Von den spartanischen Jungs heißt es bei Cicero (Tusc. 5, 77), sie wehrten sich „pugnis, calcibus, unguibus, morsu denique“, „mit Fäusten, Fersen, Nägeln, ja mit Beißen“. Ein lebendiges Bild dessen, was man auf Englisch mit dem Adjektiv ,pugnacious’ benennt. 

Cicero kann man auch entnehmen, dass die Römer sich nicht ins Fäustchen gelacht haben. Klammheimliche Freude lebten sie stattdessen im Bausche ihres Gewandes aus, ,in sinu gaudere’ lautet die lateinische Redewendung (vgl. etwa Tusc. 3, 51).

Auch war den Römern fremd, von etwas zu sprechen, was wie die Faust aufs Auge passt. ,Velut pugnus oculo convenire’ – das kann man zwar zusammenreimen, aber echtes Latein ist es nicht.

Zu ,pugnare’ gehört ein weiteres Wortpaar aus dem lateinischen Schulwortschatz: die Komposita ,expugnare’ – ,erobern’ und ,expugnatio’ – ,Eroberung’. ,Einbruchsichere Türen’ – das sind auf Spanisch ,puertas inexpugnables’.

Die ursprüngliche Bedeutung ,boxen’ ging auf das Verb ,pugilari’ über, und das Substantiv ,pugil’ (-is mask.) bezeichnet nicht den Kämpfer, sondern den Faustkämpfer. Es lebt noch heute im Italienischen fort. Man denke an den klassischen italienischen Witz: „Sagt der eine: Mein Lebensmotto war immer: Lieber geben als nehmen. Sagt der andere: Ich bewundere Sie, Signore, Sie sind wahrhaft human, ein Altruist. Der erste: No, veramente sono un pugile.“

Der Boxsport ist auf Spanisch ,el boxeo’, der Fußball ,el fútbol’. Die italienischen Entsprechungen dagegen stammen nicht aus dem Englischen: ,il pugilato’ und ,il calcio’. Die Ursache ist historisch. Der Duce war es, der selbsternannte Sprachpfleger Mussolini, der den Anglizismen den Kampf ansagte. 

Verwandt ist ,pugnus’ mit dem Verb ,pungere’ (pungo, pupugi, punctus, -a, -um), ,stechen’. Die beiden gemeinsame Wurzel pug- bezeichnet ,un coup frappé’, einen Hieb, wie F. Martin in seinem etymologischen Standardwerk ,Les mots latins’ mitteilt. Bei ,pugnare‘ ist es – in der Urbedeutung – ein Hieb mit der bloßen Faust, bei ,pungere’ umschließt sie einen Stichel, etwa einen Dolch.

Aus ,punctum’ (=das Gestochene) stammen zahlreiche deutsche Wörter, zum Beispiel der ,Punkt’, das Adjektiv ,pünktlich’ (also ,punktgenau’) oder die ,Akupunktur’ (=,Stechen mit der Nadel’). 

,Der Stichel’, ,die Spitze’ ist in den romanischen Sprachen weiblich (,la punta’ im Italienischen und Spanischen, ,la pointe’ im Französischen), das Ergebnis, nämlich der ausgestanzte Punkt, männlich (,il/el punto’, ,le point’).

Die Metapher des Zeitpunkts haben schon die Römer verwendet. Caesar etwa schreibt bei seiner Schilderung der Belagerung Marseilles an einer Stelle (Bell. Civ. II, 14,4): „Ita multorum mensum labor hostium perfidiā et vi tempestatis puncto temporis periit.“ – „So ging die Arbeit vieler Monate durch die Hinterhältigkeit der Feinde und die Sturmböen im Handumdrehen verloren.“

Der ,springende Punkt’ dagegen, das ,punctum saliens’, als Bezeichnung für den Kern einer Sache, ist eine Übersetzung des griechischen στιγμὴ αἱματική. So bezeichnet Aristoteles das Herz des werdenden Vogels, das als erstes im Ei hin- und her springe.

,Pungere’ hat auch im Englischen zahlreiche Spuren hinterlassen, etwa das Verb ,to punch’ für ,schlagen’ (die ,punch-clock’ etwa ist die ,Stechuhr’). Desweiteren: das Substantiv ,point’, das Verb ,to point (at s.th.)’ und das Adjektiv ,pointed’ (spitz zulaufend, etwa in ,pointed beard’=,Spitzbart). 

Einem anderen Adjektiv, ,pungent’, sieht man seine Verwandtschaft mit dem lateinischen Infinitiv ,pungere’ sofort an. Es bezeichnet einen stechenden Geruch oder einen beißenden Kommentar, ,a pungent remark’. 

Von ,pugnare’ dagegen kommt dagegen das Adjektiv ,repugnant’ für ,abstoßend’, das auch auf Italienisch (ri-), Spanisch und Französisch existiert und dieselbe Bedeutung hat. Das Rumänische verwendet dagegen eine andere Ableitung aus dem Lateinischen, ,respingător‘.

Manchen Französischlerner mag verwundern, dass ein- und dasselbe Substantiv, ,la poignée’, so viele verschieden Bedeutungen hat: ,Griff’, ,Schaft’, ,Handvoll, Schar’, ,Händedruck’, ,Joystick’ – aber alle diese Verwendungen sind zurückzuführen auf eine einzige Grundbedeutung: das, was die Faust, le poign (il pugno, el puño), umschließt. 

Pech hat in Italien der, dessen Faust nichts umschließt außer Fliegen: ,un pugno di mosche‘ haben heißt ,leer ausgehen’.

Von den ,poignées d’amour’ soll hier besser nicht die Rede sein …