Mit der FDJ auf nach Griechenland!

Im Frühjahr 2019, während des ersten Lockdowns, lösten Prominente in England eine Reihe von ,Aufschreien‘ aus, weil sie sich vor ihren Bücherwänden hatten fotografieren lassen und geschulte politisch-korrekte Späher irgendwelche politisch inkorrekten Bücher auf den Regalen entdeckten.

Ich bekenne mich dazu, ebenfalls eine Reihe solcher Bücher zu besitzen, vor allem aus der Zeit der Deutschen Demokratischen Republik. Es ist eine bekannte Tatsache, dass in der DDR, vor allem beim VEB Leipzig, brauchbare Lehrwerke erschienen, man denke etwa an das Sachwörterbuch für die deutsche Sprache.

Die besten Rumänisch-Bücher, die es in Deutschland je gab, stammen ebenfalls von damals und dort, zum Beispiel das Taschenwörterbuch-Paar Rumänisch-Deutsch, Deutsch-Rumänisch von Maria Schönfelder.

Nach Konzept und Zuverlässigkeit ist es dem heutigen Langenscheidt-Taschenwörterbuch (mit seinen rekordverdächtigen Druckfehlern und Lücken) meilenweit überlegen.

Als ich mich dazu entschied, mich mit dem Neugriechischen zu beschäftigen, fiel meine Wahl daher auf das Neugriechische Lehrbuch (VEB Verlag Enzyklopädie Leipzig 1981), eine Adaption eines russischen Lehrwerks von M. L. Rytova, erarbeitet von einem Kollektiv unter dem auch nach der Wende aktiven Prof. Jürgen Werner.

Das Buch enttäuschte mich nicht: straffes Konzept, akkurat aufgeschlüsselte Grammatik, (recht altmodische) Übungen, am Ende Übersichtstabellen zur Formenlehre und Wortverzeichnisse Deutsch-Neugriechisch Neugriechisch-Deutsch.

Das einbändige Lehrwerk mit seinen 20 Lektionen auf 260 Textseiten enthält einen Lernwortschatz von ca. 3000 Vokabeln. Ein Lernpensum, das bei heutigen Schülern und Studenten zu einem Aufschrei führen würde, und zwar zu einem, der den der englischen Bücher-Haie um einiges übertönen dürfte.

Was bei den Rumänisch-Büchern eher im Hintergrund bleibt, hier ist es mit breitester Borste aufgetragen: die sozialistische Propaganda. Der Grund liegt wahrscheinlich darin, dass man im Ceaușescu-Rumänien keine Werbung für den Sozialismus mehr zu machen brauchte. Die ,Werktätigen‘ in den Wohnblocks von Bukarest ,erfreuten‘ sich ja ähnlicher Privilegien wie ihre Brüder und Schwestern in der DDR. Man konnte sich auf Alltags-Dialoge und Texte über die Schönheiten Rumäniens beschränken.

Im Dialog mit den Bewohnern des westlich orientierten Griechenlands jedoch, eines NATO-Mitglieds seit 1952, galt es, diese Segnungen des Arbeiter- und Bauernstaats gebührend herauszustreichen.

Von Individualbesuchen von DDR-Bürgern in Griechenland oder von Griechen in Deutschland war natürlich keine Rede, sondern die Kontakte spielten sich zwischen Delegationen ab. Als Mitglied etwa einer FDJ-Delegation galt es, sowohl weltanschaulich bolzenfest als auch sprachlich gerüstet zu sein, stets bereit zu politischem Dialog und sozialistischer Aufklärungsarbeit.

Das merkwürdige Ergebnis: Griechenland kommt in dem Lehrbuch kaum vor! Einige Texte behandeln die antike Mythologie, etwa Dädalus und Ikarus. Ansonsten stehen Themen wie die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften der DDR, Historisches über Leningrad oder Reklametexte für „Berlin, Hauptstadt der DDR“ im Vordergrund.

Nicht die lichten Gestade der Ägäis, die grauen Plattenbauten von Berlin-Marzahn sind es, die sich da vor unserem geistigen Auge erheben.

Und: Dass das Buch humorfrei ist, und zwar unbedingt, sozialistisch-konsequent, braucht nicht eigens betont zu werden. Wer hier das Lächeln der Aphrodite erwartet, den erwarten – die Mundwinkel der Angela Merkel.

Die Wörter ,Scherz‘, ,scherzen‘, ,Witz‘, ja sogar das Verb ,lächeln‘ fehlen unter den 3000 Vokabeln – sie waren ja überflüssig.

Für den, der es zu benutzen versteht, also die Spreu vom Weizen zu sondern weiß, jedenfalls ein empfehlenswertes Lehrwerk auf hohem Niveau.