Die beiden Quellen von Shakespeares Julius Caesar

von Christoph Wurm – Dieser Artikel erschien zuerst im Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologen-Verbandes, Landesverband Nordrhein-Westfalen, Heft 3/2017, S. 9 bis 19.

Dass die drei großen Römerdramen Julius Caesar1 (1599), Antony and Cleopatra (1606) und Coriolanus (1607) auf PLUTARCH fußen, ist Allgemeingut. Aber im Falle von Julius Caesar wandte SHAKESPEARE sich in zentralen Punkten bewusst von Plutarch ab, um einer ganz anderen Quelle zu folgen: APPIAN. Falsch wäre die Vorstellung, der Dichter hätte sich genial-souverän über die Einzelheiten der Überlieferung hinweggesetzt. Er schuf Julius Caesar nach akribischer Lektüre beider Autoren und hat Übernahmen wie Abweichungen genau kalkuliert. Andere Einflüsse sind von untergeordneter Bedeutung für das Stück; ein Beispiel ist die Schilderung der Omina vor Caesars Tod (II, 2), die von Ovid (Met. XV, 783 – 798) inspiriert sein dürfte.

Hauptquelle Shakespeares war THOMAS NORTHs (1535 – 1601) 1579 zuerst veröffentlichte Übersetzung2 von JACQUES AMYOTs (1513 – 1593) zwanzig Jahre zuvor erschienenem Plutarch3. Beide Werke verbreiteten sich in ganz Europa und fanden begeisterte Aufnahme. Bei BEN JONSON tauft ein Vater seinen Sohn Plutarchus4, in ALPHONSE DAUDETS Geschichte Le Phare des Sanguinaires in den Lettres de mon moulin ist ein Band Plutarch, „un gros Plutarque à tranche rouge“, einzige Lektüre auf einem korsischen Leuchtturm, ja „toute la bibliothèque“ der Îles Sanguinaires.

Über North ist sogar gesagt worden: „At any rate, there are few who, were the choice given them, would not rather read Plutarch in the noble English of North, than in the restrained and sometimes inexpressive Greek of Plutarch.“5 Appians μφύλια (Bella civilia) hat Shakespeare wohl in der Übersetzung eines anonym bleibenden W.B. (1578) gekannt (= William Barker, zeitweiliger Sekretär des Herzogs von Norfolk?), die auf der Übersetzung ins Lateinische durch Sigismund Geslen (Basel 1554) basierte6.

Das ihm vorliegende Material musste Shakespeare raffen, um daraus ein Drama von fünf Akten zu destillieren. Steil ist die Spannungskurve, die zu Cäsars Ermordung führt. Der Vorhang hebt sich, ein paar Minuten vergehen, und das Publikum ist bereits Zeuge der anlaufenden Verschwörung. Über Caesar schwebt von Anfang an das Todesurteil, über einem Menschen, der meinte, πλέον τι ἢ ἄνθρωπος ἤδη εἶναι (schon etwas Größeres zu sein als ein Mensch), so jedenfalls NIKOLAOS VON DAMASKUS in seinem Leben des Augustus (XIX, 64). Alles Überflüssige ist weggemeißelt, die Ereignisse sind auf fünf Tage konzentriert7:

  • Akt I Szene 1 und 2 (1. Tag): 15. Februar 44
  • Akt I Szene 3 bis Akt 3 Szene 3 (2./3. Tag): 14./15. März 44
  • Akt IV Szene 1 (4. Tag): November 43
  • Akt IV Szene 2 und 3 (5. Tag): vor der Schlacht bei Philippi, 42
  • Akt V  (6. Tag): zwei Schlachten am 3. bzw. 23. Oktober 42

Die Prosa der Historiker galt es zudem in schwungvollen Blankvers zu verwandeln. Damit kommen auch Ironie und Sarkasmus in das Stück, die mit Brutus’ Idealismus kontrastieren. Vor allem musste der Dichter seinen Akteuren die Reden schreiben, darin dem THUKYDIDES (vgl. dessen Bemerkungen in I, 22 seines Geschichtswerks) nicht unähnlich. Norths Übersetzung war souverän formuliert, und er folgt ihr – wie in Antony and Cleopatra und Coriolanus –  häufig. Ein Beispiel sind die Worte des Lucilius:

„I dare assure thee that no enemy hath taken nor shall take Marcus Brutus alive: and I beseech God keep him from that fortune. For wheresoever he be found, alive or dead, he will be found like himself.“ (S.186f.). Daraus wird bei Shakespeare (V, 4, 21 – 25):

I dare assure thee that no enemy
Shall ever take alive the noble Brutus;
The gods defend him from so great a shame!
When you do find him, or alive or dead,
He will be found like Brutus, like himself.

Eine weitere Herausforderung: die Gestaltung einer geeigneten Personen- und Charakterkonstellation. Plutarchs Caesar und sein Brutus sind bei Shakespeare unschwer wiederzuerkennen, nicht dagegen die dritte Grundsäule des Stücks: sein Mark Anton, für Plutarch ein wüster Genussmensch ohne besondere politische Begabung.

Mark Antony entstammt Appians μφύλια. Wenig bei Plutarch – und alles bei Appian – verweist auf brilliante Taktik und Verstellungskunst. Shakespeares Brutus sagt von sich „I do lack some part/ Of that quick spirit that is in Antony“ (I, 2, 28f). Das Pronomen ,that’ (nicht: ,the’) ist im Sinne von ,des wohlbekannten’ zu verstehen. Cassius nennt ihn einen ,shrewd contriver‘ (II, 1, 158), also einen gerissenen Mann, groß im Aushecken von Plänen. Plutarch (Antonius 24, 6) dagegen spricht von Schlichtheit des Gemüts

(ἁπλότης τῷ ἤθει, Amyot: ,une grande simplicité qui était en lui, S. 885) und nennt seine Auffassungsgabe (αἴστησις) langsam (βραδεῖα,  Amyot: „il était grossier et peu subtil de nature“). North: „[H]e over simply trusted his men in all things. For he was a plain man, without subtilty [subtlety], and therefore over late found out the foul faults they committed against him“, S. 35f.

Eine wohlgesetzte Pointe Shakespeares ist es, das Wort vom ,plain man’ aus Norths Plutarch zu nehmen und es seinem Antonius gerade im Augenblick des Triumphs in den Mund zu legen, an dem Punkt, als er weiß, dass er sein Publikum in der Hand hat! In zynischer Treuherzigkeit sagt er von sich selbst (III, 2, 212ff), ein schlichter Mann ohne Raffinesse (220) sei er, er rede doch nur so wie ihm der Schnabel gewachsen sei:

Good friends, sweet friends, let me not stir you up
To such a sudden flood of mutiny. (…)
I come not, friends, to steal away your hearts.
I am no orator, as Brutus is,
But (as you know me all) a plain blunt man,
That love my friend (…)

Sarkastisch ist auch das falsche Lob, Brutus, nicht er selbst, sei ,orator’. In demselben boshaften Sinne hat GEORGE BERNARD SHAW Brutus als Schwätzer auf Stelzen dargestellt: „he stalked and talked“. Shaw nennt ihn einen perfekten Girondin, der entsprechend von den Antoniussen und Oktaviussen seiner Zeit den Kopf abgeschlagen bekomme – die hätten wenigstens kapiert, dass da ein Unterschied sei zwischen Leben und Rhetorik.8

Appians, nicht Plutarchs Antonius triumphiert hier, ein mit allen Wassern gewaschener Politiker, der ,shrewd contriver’. Vor seinen Militärtribunen rühmt Appians Antonius (bell. civ. 3, 34) sein eigenes Verhalten nach Caesars Tod: Nach der Ermordung sei er von äußerster Kühnheit gewesen, wo Wagemut vonnöten gewesen sei, und verschlagen, wo es der Verstellung bedurft habe (ἔνθα μὲν ἔδει τόλμης, θρασύτατο[ς], ἔνθα δὲ ὑποκρίσεως, εὐμήχανο[ς]). In der englischen Übersetzung: „ …for on the one side, [I] was need of boldness vehement, and on the other dissimulation extreme.“ (S. 54). Ihm vertraut Calpurnia (Shakespeares Schreibweise Calphurnia folgt der Appians, nicht der Plutarchs) nach der Ermordung ihres Mannes dessen Geld und Papiere an (bell. civ. 2, 17, 125; Plut. Ant. 15,2; nicht von Shakespeare erwähnt), an denen Antonius, wie Plutarch hinzufügt, Antonius Manipulationen vornahm.

Typisch für Appians Antonius ist es auch, sich in erregtem Zustand in ein derartiges rhetorisches Pathos hineinzusteigern, dass er wie besessen wirkt (bell. civ. 2, 33: ὥσπερ ἔνθους, 2, 146: οἷά τις ἔνθους, 2, 146: εὐφορώτατα ἐς τὸ πάθος ἐκφερόμενος).

Zwei der zentralen Stellen des Dramas sind durch Appian inspiriert. Die erste ist Antonius’ Monolog an Caesars Bahre (III, 1, 254 ff.).

„Profugiunt statim ex urbe tribuni plebis seseque ad Caesarem conferunt“ – so beschreibt Caesar im Bellum Civile (I, 5, 5) die Flucht der beiden Volkstribune Antonius und Cassius, deren Immunität durch die Erklärung des Notstandes durch den Senat prekär geworden war. Caesars Reaktion auf diese Flucht ließ nicht lange auf sich warten. Am 10. 1. 49 überschritt er den Rubikon, marschierte nach Ariminum „ibique tribunos plebis, qui ad eum confugerant, convenit.“ (I, 5, 8).

Bei der Kontroverse im Senat sei – so Appian – Antonius aufgesprungen und wie ein Besessener (ὥσπερ ἔνθους) hinausgestürmt. Dabei habe er die fürchterlichsten Konsequenzen des ungerechten Beschlusses, wie Krieg, Proskription, Verbannung, Konfiszierung von Eigentum und andere Schrecken, prophezeit (bell. civ. 2, 33) und Verwünschungen gegen die für diese  Missachtung Verantwortlichen ausgestoßen. Von dieser Stelle führt eine gerade Linie zu Antonius’ Monolog. Auch hier die Prophezeiung des Bürgerkriegs und die atemlose Auflistung kommender Schrecken. Beiden Stellen ist der hochemphatische Ton gemeinsam. Appian vermittelt die Erregung des Antonius durch die Mittel des Polysyndetons und des Homoioteleutons: πολέμους καὶ σφαγὰς καὶ προγραφὰς καὶ φυγὰς καὶ δημεύσεις (…), προσθεσπίζων ἀράς τε βαρείας, der Übersetzer durch die asyndetische Reihe „wars, murders, attendures, banishments, spoils“ (S. xxiii). Shakespeare verwendet Alliterationen, etwa „A curse shall light upon the limbs of men;/ Domestic fury and fierce civil strife/ Shall cumber all the parts of Italy.“ Er gestaltet dann (ab III, 1, 267, That mothers …) die Prophezeiung als apokalyptische Schreckensvision, deren Bilder an die Stiche GOYAS erinnern.

Eine zweite Passage ist die Stelle, an der Antonius dem Volk das blutige Gewand Caesars zeigt. Die Zuhörerreaktion (III, 2, 199ff.) sticht aus der Szene hervor. Appian berichtet (bell. civ. 2, 146), das Volk habe „οἷα χορός“, wie ein Theaterchor (W.B.: „like a choir“, S.44) um Caesar getrauert, als Antonius mit einem Speer das zerfetzte Gewand hochhielt. Diese Aussage ist der Ursprung von „the crowd’s choric lament in Julius Caesar, which, in its formalism, contrasts sharply with the rest of the crowd’s utterances in that scene.“9 Appian und Shakespeare, nicht Plutarch, vermitteln die Theatralik, mit denen Antonius οἷά τις ἔνθους, „like a man beside himself“, seine Zuhörer bannt.

[H]e pulled up his gown like a man beside himself, and girded it, that he might better stir his hands: he stood over the litter, as from a tabernacle, looking into it, and opening it, and first sang his hymn, as to a god in heaven (…) And when he had made these and many other invocations, he turned his voice from triumph to mourning matter, and began to lament and moan him as a friend that had been unjustly used, and did desire that he might give his soul for Caesar’s. (S. 43f.)

Zunächst spricht (bell. civ. 2, 146) Antonius in der dritten Person Singular (μόνος ὅδε: nur dieser) und wendet sich dann unmittelbar an den Toten – so wie Mark Antony an Caesars Bahre (III, 1, 254ff.): „σὺ δ᾽,“ ἔφη , „καὶ μόνος ἐκ τριακοσίων ἐτῶν ὑβρισμένῃ τῇ πατρίδι ἐπήμυνας, ἄγρια ἔθνη τὰ μόνα ἐς Ῥώμην ἐμβαλόντα καὶ μόνα ἐμπρήσαντα αὐτὴν ἐς γόνυ βαλών.“ (Du alleine hast auch die Heimat aus der Schande von vor 300 Jahren errettet, indem du jene wilden Stämme niederwarfst, die einzigen, die je in Rom einbrachen und die einzigen, die die Stadt anzündeten.) Dass Antonius in Tränen ausbrach, wird bei Appian nicht nur berichtet, sondern zusätzlich hervorgehoben, da Antonius sich in der Rede vor seinen Tribunen (s.u.) dessen rühmt. Shakespeare greift den Hinweis auf, (III, 2, 117): „Poor soul! His eyes are red as fire with weeping.“ Bei Plutarch ist von dem Tränenausbruch keine Rede. Der ,Chor’ der Plebejer (III, 2, 199 – 206):

  • 1. Pleb.: O piteous spectacle!
  • 2. Pleb.: O noble Caesar!
  • 3. Pleb.: O woeful day!
  • 4. Pleb.: O traitors! villains!
  • 1. Pleb.: O most bloody sight!
  • 2. Pleb.: We will be revenged!
  • All: Revenge! – About! – Seek! – Burn! – Fire! – Kill! – Slay! – Let not a traitor live.

Bei Appian blickt Antonius in einer Rede vor seinen Militärtribunen (3, 35) auf seine Manipulation der Menge zurück, mit derselben Kühle, mit der Mark Antony nach seiner Rede lakonisch sagt: “Now let it work“ (III, 3, 261) – so als habe er ein Gift verabreicht:

Ich schöpfte neuen Mut und untergrub die Amnestie, nicht durch Abstimmungen oder Erlasse – das war mir unmöglich –, sondern indem ich unmerklich das Volk bearbeitete. Ich brachte unter dem Vorwand des Begräbnisses Caesars Leichnam ins Forum, entblößte seine Wunden, zeigte ihre Zahl und seine Gewänder, blutig und zerfetzt. In öffentlicher Rede ging ich wieder und wieder in ergreifender Weise auf seine Tapferkeit ein und auf seine Volksnähe, beweinte dabei seinen Tod und rief ihn zugleich als einen Gott an. Diese meine Taten und Worte waren es, die das Volk aufputschten, nach der Amnestie Brand legten, die Leute gegen die Häuser unserer Feinde sandten und die Mörder aus der Stadt verjagten. 

Knapp skizziert ist die Rede bei Plutarch (Ant. 14, Brut. 18ff.), der an anderer Stelle auf Antonius’ ,asianische’ Rhetorik eingeht (Ant. 2) und dessen Eloquenz gerade bei Auftritten vor dem δῆμος rühmt (Ant. 40). In seiner Caesar-Biographie lässt er die Rede sogar ganz unerwähnt. Appian dagegen verwendet große Mühe darauf, hervorzuheben, mit welcher Konsequenz Antonius die Masse manipulierte. Shakespeare schließlich unterstreicht dieses Geschick noch dadurch, dass Mark Antony sein Verlesen des Testaments gezielt hinauszögert, bis nach seiner Rede (III, 2, 240ff).

Auch an weniger wichtigen Stellen zeigt sich der Einfluss Appians. Aus verschiedenen Gründen verändert Shakespeare die von Plutarch dreifach überlieferte (Caes. 62, Brut. 8, Ant. 11) Äußerung Caesars über gebotenes und nicht gebotenes Misstrauen.

Nur bei Shakespeare wendet sich Caesar hier an Antonius (I, 2, 189), den anscheinend für die persönliche Sicherheit des Diktators Verantwortlichen. Der Ton ist scherzhaft, aber: Es ist Caesar nicht entgangen, dass auch Widersacher ihn umgeben. Plutarch schreibt (Caes. 62), das blasse (ὠχρός)  Gesicht des Cassius habe Caesars Mißtrauen erregt, danach:

πάλιν δὲ λέγεται περὶ Ἀντωνίου καὶ Δολοβέλλα διαβολῆς πρὸς αὐτὸν ὡς νεωτερίζοιεν ἐλθούσης,  „οὐ πάνυ“ φάναι „τούτους δέδοικα τοὺς παχεῖς καὶ κομήτας, μᾶλλον δὲ τοὺς ὠχροὺς καὶ λεπτοὺς ἐκείνους“, Κάσσιον λέγων καὶ Βροῦτον. (Plut., Caes., 62)

Man berichtet auch, er habe gesagt, als man Antonius und Dolabella der Verschwörung bezichtigte, „Diese Dicken und Behaarten fürchte ich gar nicht, eher jene Blassen und Hageren.“ Er meinte Cassius und Brutus.

Amyot (Jules César, S. 478): Une autre fois on calomnia envers lui Antoine et Dolabella, qu’ils machinaient quelque nouvelleté à l’encontre de lui; à quoi il répondit: “Je ne me défie pas trop de ces gras-ci, si bien peignés et en si bon point, mais bien plutôt de ces maigres et pâles-la“, entendant de Brutus et de Cassius.

North: „’As for those fat men and smoothed-combed heads,’ quoth he, ‘I never reckon of them, but these pale-visaged and carrion lean people, I fear them most’, meaning Brutus and Cassius“. (S. 65)

Shakespeare (I, 2, 191 –194):

Let me have men about me that are fat,
Sleek-headed [=glattgekämmt] men, and such as sleep a-nights.
Yond Cassius has a lean and hungry loook;
He thinks too much; such men are dangerous.

Später (II, 2, 111b – 113) folgt eine Anspielung auf denselben Gedanken:

Caesar:
Caius Ligarius,
Caesar was ne’er so much your enemy
As that same ague which hath made you lean.

Shakespeare unterlässt den Hinweis auf Dolabella, der in seinem Stück gar nicht vorkommt, und auf Antonius, da sein Mark Antony ein Heißsporn sein soll, kein behaglich feister Lebemann. Antony zieht es vor, nachts zu feiern (revels long o’ nights, II, 3, 116) statt zu ruhen. Den Hinweis auf Brutus streicht der Dichter ebenfalls, denn die Tragik des Verhältnisses zwischen Caesar und Brutus liegt ja gerade darin, dass nichts ihre persönliche Beziehung trübt. Brutus: „I slew my best lover for the good of Rome.“ (III, 2, 46f.). Auch Caesars Vorstellung, Brutus könne sein eigener Sohn sein: ἐξ ἑαυτῷ γεγονέναι (Plut. Brut. 5,2), bleibt unerwähnt, um das Attentat nicht als möglichen Vatermord zu diskreditieren. In das Bild des instinktsicheren Politikers Antonius passt auch, dass in Julius Caesar keine Rede von der Unterschätzung und Missachtung des jungen Octavius und seiner Chancen durch Antonius ist, während Plutarch berichtet, er habe ihn zunächst als einen Grünschnabel verachtet („ὡς μειρακίου καταφρονῶν“, Anton., 16). Allerdings verweist Mark Antony (IV, 1, 18) gegenüber dem zwanzig Jahre Jüngeren, frisch in Rom Erschienenen auf seinen Vorsprung an Alter und Erfahrung. Zuvor hat dieser seine Verwunderung über Antonius’ skrupellosen Umgang mit Lepidus zum Ausdruck gebracht. Diesem – nicht Octavius – gilt Antonius’ Missachtung.

Cassius ist es, in dessen „Come, Antony, and young Octavius, come“ (IV, 3, 92) ein geringschätziger Unterton mitschwingt. Und später (V, 1, 18ff.) ist es Octavius, der es an Respekt gegenüber Antonius fehlen lässt, als er vor der Schlacht den Befehl über den rechten Flügel an sich reißt. Er spricht in barscher Lakonie, wechselt sogar von der Höflichkeitsform ,you’ zu ,thou’, wie zu einem Untergebenen:

Octavius:  Upon the right hand I. Keep thou the left.
Antonius: Why do you cross me in this exigent?
Octavius:  I do not cross you; but I will do so.

Octavius, nicht Antonius, ist es auch, der die letzten Worte des Stückes (V, 5, 76 – 81) spricht, in denen er dem toten Brutus Respekt zollt.

1664 pries eine Leserin10 den Dichter und. ließ dabei seine Römerdramen nicht aus; manch heutiger Leser dürfte ihr zustimmen:

& certainly Iulius Cæsar, Augustus Cæsar, and Antonius, did never Really Act their parts Better, if so Well, as he hath Described them, and I believe that Antonius and Brutus did not Speak Better to the People, than he hath Feign’d them; nay, one would think that he had been Metamorphosed from a Man to a Woman, for who could Describe Cleopatra Better than he hath done, and many other Females of his own creating (…)?

(Und gewiss haben Julius Caesar, Augustus und Antonius ihre Rollen nie besser, wenn nicht sogar schlechter, gespielt als Shakespeare sie beschrieb, und ich glaube, dass Antonius und Brutus nicht besser zum Volk sprachen, als er es ihnen in den Mund legte; ja, man könnte meinen, eine Metamorphose habe ihn vom Mann zur Frau gemacht: Denn wer könnte Kleopatra besser beschreiben als er es getan hat, und viele andere Frauengestalten, die er selber erschuf?)

Anmerkungen:

1 Folgende Ausgabe vom Beginn des XX. Jahrhunderts enthält in höchst übersichtlicher Form   Vergleiche aller Szenen mit Plutarch: Julius Caesar – Oxford and Cambridge Edition, hrsg. von Stanley Wood und Arthur Syms-Wood, London 1901. – Alle Textzitate folgen der Ausgabe The Arden Shakespeare, hrsg. von T. S. Dorsch, London/New York, 1983 (1955).

2 Alle Zitate aus Norths Übersetzung entstammen der Ausgabe von C. F. Tucker Brooke, Shakespeare’s Plutarch. Bd. 1: The main sources of Julius Caesar (enthält Plutarchs Caesar und Brutus), Bd. 2: The main sources of Anthony and Cleopatra and of Coriolanus (enthält Plutarchs Antonius), New York/London 1909.

3 Die Zitate aus Amyots Übersetzung nach der Ausgabe Plutarque – Les Vies des hommes illustres, hrsg. von Gérard Walter. Paris 1951 et al. (Bibliothèque de la Pléiade).

4 Tom Gilthead in The Devil is an Ass. Vgl. Robert S. Miola, Shakespeare’s Reading.

Oxford (2000), 2008, S. 98.

5 Charles Whibley, in: Cambridge History of English Literature hrsg. von A. W. Ward und A. R. Waller, Bd. IV, Cambridge 1964, S. 12.

6 Alle Zitate aus W.B.s Appian entstammen der Ausgabe von Ernest Schanzer, Shakespeare’s Appian. A selection from the Tudor Translation of Appian’s Civil Wars. Liverpool 1956. Ich habe besserer Lesbarkeit wegen die Orthographie durchgehend modernisiert.

7 Die Übersicht nach Bernhard Kytzler, Shakespeare – Julius Caesar. Dichtung und Wirklichkeit. Frankfurt/Berlin 1963, S. 101.

In seiner Vorrede zu Three Plays for Puritans (Erstveröffentlichung 1901), Harmondsworth (Penguin Classics) 2000, S. 31.

9 Schanzer, a.a.O. (vgl. Anm. 6), S. xxii der Einleitung.

10 Margaret Cavendish (Duchess of Newcastle): Sociable Letters, hrsg. von James Fitzmaurice, New York/Abingdon (1997) 2012, S. 127.

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