Hugo Primas von Orléans

von Christoph Wurm – Dieser Aufsatz wurde erstmalig veröffentlicht im Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbands, Landesverband Nordrhein-Westfalen, Heft 3/2013, S. 8 – 17.

Ein Dichterwettstreit in Rom. Zwei mittelalterliche Dichter sollen auf Geheiß des Papstes das Alte und das Neue Testament in möglichst kurzer Form zusammenfassen. Einer benötigt vier – uns nicht überlieferte – Verse. Der Sieger, HUGO VON ORLÉANS, benötigt nur zwei:

Quos anguis tristi virus mulcedine pavit,

Hos sanguis Christi mirus dulcedine lavit.1

Hugo von Orléans (Hugo Aurelianus), der in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts lebte, gilt als der bedeutendste Vertreter der sogenannten Goliarden, der französischen Vaganten.

Wir kennen die Herkunft des Begriffs Goliarde nicht, doch wenn wir erst einmal die erdichteten Etymologien ausklammern, die ihn von Goliath, der Verkörperung des Teufels, dem “Feind Gottes“ ableiten, oder von gula, dem Maul, womit seine Anhänger zu “Vielfraßen“ oder “Maulhelden“ werden, wenn wir anerkennen, daß es unmöglich ist, einen historischen Golias als Gründer eines Ordens der Goliarden zu identifizieren, bleiben uns dennoch einige biographische Einzelheiten über bestimmte Goliarden, Gedichtsammlungen wie die ‘Carmina Burana’, unter ihrem – einzelnen oder kollektiven – Namen, und die zeitgenössischen Texte, die sie verurteilen oder anschwärzen. 2

Den Kern des uns überlieferten Werks Hugos bilden 23 in einem Oxforder Manuskript (Rawlington G. 109) gesammelte Gedichte, die 1907 von Wilhelm Meyer veröffentlicht wurden. Es handelt sich um formal wie inhaltlich höchst abwechslungsreiche Gedichte ohne Titel, in deren Mittelpunkt die konkreten Lebensumstände eines Dichternomaden stehen.

Wer war Hugo, der den Ehrennamen Primas trug? Laut einer Hinzufügung zur Chronik RICHARDS VON POITIERS 3 stammte er aus Orléans und fand um 1142 in Paris große Anerkennung als dichterischer Virtuose, der perfekte Verse extemporieren konnte. Abgesehen von dem Hinweis auf das Geschenk eines Mantels, das Hugo von einem

Bischof erhielt und zum Sujet eines Gedichtes machte, finden sich keine Indizien für ein Vagantenleben des Autors. Hugos Gedichte dagegen verweisen auch auf Amiens, Beauvais, Reims und Sens. Er sei, so deutet er an, clericus (vgl. 16,151).

Er habe ein gesichertes Dasein erlangt, diese Position aber wieder verloren und friste als alter Mann sein Leben wieder auf der Straße, berichtet er in 23, 1 – 10.

Sein Todesjahr ist unbekannt. In einem Gedicht (18) rühmt er die Kathedralschule zu Reims unter ihrem Leiter Albericus, der diese Position von 1121 bis 1136 innehatte. In einem anderen (16) bezieht er sich auf Sens und – ohne Namensnennung – anscheinend  auf Hugo von Toucy, den Erzbischof dieser Stadt 1142 bis 1168.4

In einer Vorbemerkung zu seinem Werk Fürsten, Bürger, Edelleute – Lebensbilder aus dem späten Mittelalter schildert HARTMUT BOOCKMANN den Reiz des Studiums seiner spätmittelalterlichen Quellen, der darin liege “Leute, die vor mehr als einem halben Jahrtausend gelebt haben, plötzlich so vor Augen gestellt zu erhalten, als könne man mit ihnen ein Gespräch führen.“ (S. 8) 5

Frische und Lebendigkeit gehen auch von Hugos Gedichten aus. Die elementaren Alltagssorgen des Protagonisten um Nahrung, Unterkunft und Schutz teilt er uns mit,  stets in plastischer, ungenierter, schamloser Konkretisierung. Nicht ungefiltert, aber höchst lebendig tritt uns das Leben auf den Gassen, in den Bordellen, in den Schenken entgegen.

Trotz dieser Unmittelbarkeit ist jedoch Vorsicht angesagt, da es wie bei jedem anderen Dichter zwischen faktischer und literarischer Person, zwischen personne und personnage zu unterscheiden gilt.

Ein Beispiel: In mehreren Gedichten Hugos geht es um Mäntel. Dass der Besitz eines wetterfesten Mantels – vorzugsweise durch Stiftung seitens eines wohlhabenden Gönners – für den Vaganten von Bedeutung ist, liegt auf der Hand. Insofern passen die Gedichte in die Lebenswelt des fahrenden Volkes.

Sie gehören aber auch in ein literarisches Genre, das Hugo vom Betteldichter MARTIAL her kennt, der mehrere Epigramme zu diesem Thema verfasste, etwa VI, 82, wo er um einen guten Mantel bittet.

Die Chronik Richards von Poitiers teilt mit, Hugo selber habe seine Mantelgedichte zur Erheiterung seiner Zuhörer vorgetragen, sie also aus ihrem ursprünglichen Funktionszusammenhang herausgelöst. 

Es stellt sich das Problem der Authentizität der geschilderten Vagantenerfahrungen:

Gewiß hat es „wirkliche“ Vaganten gegeben, die versuchten, gewissermaßen als „freie Schriftsteller“ an geistlichen und weltlichen Höfen Beachtung und Unterhalt zu finden, 

denn ohne dieses Phänomen ließe sich die ganze Gattung schwerlich begreifen. Aber es ist sehr die Frage, ob die Lieder derartiger Leute jemals zu Pergament gebracht wurden und die Chance bekamen, der Nachwelt überliefert zu werden. Dagegen scheinen hinter den uns

bekannten Texten manche wohlsituierte Verfasser zu stehen, die eher einer literarischen Konvention folgend nach Art von Vaganten dichteten und eben imstande waren, eine 

schriftliche Tradition zu begründen.6

Hugo verblüfft den Leser in einem Gedicht (16,90 – 97) durch den Hinweis auf eigene päderastische Neigungen, denn bei anderen geißelt er deren Ausleben.

Seinen Todfeind, den Kaplan Willelmus, tituliert er etwa als Willelmus Ganymed (23, 107), nach Juppiters Lustknaben. Erst rühmt Hugo den Liebreiz zweier unbehaarter Jünglinge, dann fügt er

hinzu, belästigt habe er sie nicht, da er zu alt für so etwas sei: „etas enim mea vergit in

senium“ (16, 97). Spielt hier Hugo ironisierend mit der Sprecherrolle, indem er dem Vaganten Neigungen zuschreibt, die er selber im realen Leben entrüstet von sich

gewiesen hätte? Es gibt also eine Reihe von Indizien für ein Auseinanderklaffen von Hugo Primas-personne und Hugo Primas-personnage. Wenn der Eindruck entsteht, das zentrale Stilmittel der Gedichte Hugos sei die Übertreibung, die Hyperbel, so träfe diese Beobachtung nur dann zu, wenn ihr Grundthema seine realen Lebensumstände

wären.

In seinen Gedichten jedenfalls ist Hugo, der sich selber bei seinem Ehrennamen Primas nennt, der Prototyp des Vaganten, und sie schildern das Vagantenleben in all seinen Facetten. Den Goliarden war es nicht gelungen, in den blühenden französischen Städten Arbeit zu finden. Trotz ihrer Bildung lebten sie ohne gesicherte materielle Existenz auf der Straße, als Autoren und Lehrer. Ungeniert gingen sie daher potentielle Förderer um Unterstützung an, weltliche und kirchliche Gönner, die ihnen Unterkunft, Unterhalt und Publikum verschaffen sollten.

Großzügigkeit erwarb rühmende Verse, Geiz erntete dichterische Schelte. Dieser Primas, der den Geizigen ihre Maske vom Gesicht reißt, ist das Urbild des Primasso, den uns später, im vierzehnten Jahrhundert, GIOVANNI BOCCACCIO im Dekamerone (I, 7) vorstellt, wo der Abt von Cluny sich weigert, dem weltberühmten, aber unerkannten Dichter ein warme Mahlzeit servieren zu lassen.

Den Kontrast zwischen hoher Bildung und tristen Lebensumständen formuliert Hugo so:

Verecundus victum quero.

Sum mendicus. Vbi vero

Victum queram nisi clero,

enutritus in Piero,

eruditus sub Homero? (23, 78 –82)

“Ich schäme mich, weil ich auf Nahrungssuche gehen muss. Ein Bettler bin ich. Wo aber soll ich Nahrung suchen, wenn nicht beim Klerus, ich, einer, der in der Wohnstätte der Musen aufgezogen, unter den Händen Homers unterrichtet wurde?“

Fanden die Vaganten einen ersehnten Gönner, der an ihrer Dichtkunst Gefallen fand, so legte ihnen ihre prekären Lebensumstände den alsbaldigen Genuss ihres Lohnes nahe – bei Wein (und zwar möglichst unverdünnt, vgl. 18), Weib und Würfelspiel.

In seinen Gedichten spricht Hugo von Orléans gelegentlich auch allgemeinere Themen an, wie etwa kirchliche Missstände und die unterstellte unmoralische Lebensführung von Klerikern. Der bittere Grundton der Gedichte ist die empörte Klage über das Nomadenleben in Armut und darüber, um die Gunst anderer buhlen zu müssen. Schimpfkanonaden treffen die, die ihn ausgenutzt und übers Ohr gehauen haben. Hugo ist daher als poet of disillusion 7 bezeichnet worden.

Der Begriff der Rolle, die Hugo einnimmt, ist noch in einem anderen Zusammenhang

von Bedeutung.

Vier kunstvoll gestaltete Gedichte scheinen nämlich aus dem Rahmen der anderen herauszufallen. Aus den Gassen Frankeichs führen sie in eine ganz andere Welt: die der antiken Literatur. Eines (3) behandelt die Sage von Orpheus und Eurydike, eines (5) Lazarus,  eines (10) Odysseus, eines das zerstörte Troja (9).

Und doch spiegelt sich in ihnen die Lebenswelt des Vaganten wider, was bereits bei der Lektüre des ersten der Gedichte deutlich wird.

Auf einem einzigen Moment  der Orpheusgeschichte 8 liegt der Schwerpunkt, auf der Rede des Orpheus an Pluto (3,32 – 52); das Gedicht ist möglicherweise, nicht unbedingt, unvollständig. Danach, also vor der gescheiterten Rettung der Eurydike, endet das

Gedicht abrupt. Orpheus bittet Pluto um angemessenen Lohn für die Mühsal des Wegs und für seine hohe Dichtkunst: um Eurydike. Der Vagant selber, ebenfalls ein liricus, ist ein Orpheus, der um Lohn für seine Dichtung ringen muss. Die folgenden Verse etwa passen auf den französischen Vaganten genauso wie auf den thrakischen Sänger:

Prosit quod canto, quod regi servio tanto;

non sine mercede tanta dimittar ab ede.  (3, 45f.)

Lazarus (5) ist eine weitere Identifikationsfigur Hugos. In scharfen Antithesen stellt der Dichter Armut und Reichtum auf Erden, Rettung und strafendes Höllenfeuer im Jenseits gegenüber. In pointierter Form erzählt er so die Geschichte aus dem Lukas-Evangelium (16,19 – 31) nach, um den Reichen durch die Drohung mit dem Feuer der ewigen Verdammnis einzuschärfen, dass sie zur Hilfe für die Armen  – hier: die Vaganten – verpflichtet sind.

Während der Evangelist gleich zu Beginn der Geschichte den Armen mit seinem Namen Lazarus vorstellt (πτωχὸς δέ τις ὀνόματι Λάζαρος, 16,20), bleibt der Arme in Hugos Gedicht namenlos.  Es könnte sich – so der Eindruck, den der Gedichtanfang vermittelt – durchaus um einen armen, erkrankten Vaganten handeln, vergebens an die Türe eines potentiellen Gönners klopfend.

Erst in der dritten Zeile verdichtet Hugo mit der Erwähnung des die Eiterbeulen leckenden Hundes (vgl. Lk. 16,21, wo von mehreren Hunden die Rede ist) den Hinweis auf die Lazarus-Geschichte:

Vlceribus plenus victum petit eger, egenus;

dives non audit, victum negat, hostia claudit.

Dum sanies manat, lingens canis ulcera sanat.

“Von Geschwüren übersät bittet der Kranke, Bedürftige um Nahrung. Der Reiche hört nicht hin, verweigert ihm die Nahrung, schließt die Tür. Während der Eiter trieft, leckt ein Hund die Geschwüre und heilt sie so.“

Auch Odysseus (10) wird zur Präfiguration des Vaganten. Im zehnten Jahr seines Umherirrens auf dem Meer sucht Odysseus Teiresias in Theben auf, um von ihm etwas über das Schicksal seiner Frau und seines Sohnes zu erfahren.

Frau und Sohn leben in bitterer Armut, sie sind von den Freiern ausgeraubt. Sie sind auf sich allein gestellt, müssen durch Arbeit und durch Betteln mühselig ihren Lebensunterhalt verdienen.

Eine schlimme Kunde. Der Trost: Penelope ist ihrem Ehemann unbedingt  treu geblieben. Teiresias soll ihm raten, wie er seine verlorenen Schätze wieder ersetzen kann9, denn auf den Heimkehrer wartet in Ithaka bittere Not:

“Werde ich bekümmert nach Ithaka fahren, ohne ein Kalb, eine Kuh zu besizen, und werde ich Wasser trinken? Nein, in diese Lumpen gehüllt würde ich lieber Thrakien besuchen, die Perser oder auch die Britannier, als im Unglück nach Hause zu fahren. Ich besitze weder Saat, noch Frucht, noch Fleisch, noch Wein, noch Wolle für meine Familie oder Leinen.“

Das Epitheton πολύτλας und HOMERS Worte im Eröffnungsvers der Odyssee “μάλα πoλλὰ πλάγχθη“ passen exakt auf das Leben des Vaganten: Das Verb πλάζομαι ist ja nichts anderes als die griechische Entsprechung zu vagari.

Um drei klassische Rollen geht es, und um zwei Intentionen: Mitleid mit den Armen, Bewunderung für die Raffinesse des Dichters. Der Vagant ist ein armer Lazarus, ein

herumirrender Odysseus, ein Orpheus, der um gerechten Lohn für seine Sangeskunst bitten muss.

In seinen Gedichten verwendet Hugo eine nicht enden wollende Skala von Adjektiven und Partizipien, um die Misere des Vagantendaseins aus möglichst vielen Blickwinkeln zu beschreiben. In dieses Wortfeld gehören auch diejenigen, die er auf Lazarus bezieht, etwa (a)eger, egenus, miser, pauper. Dasselbe gilt für seine Schilderung des Odysseus,

seiner Frau und seines Sohnes.

Das Troja-Gedicht (9) wiederum, in gereimten Hexametern verfasst, fügt sich nahtlos in die Kritik an Hybris und Sittenlosigkeit der Herrschenden ein, die Hugo in anderen Gedichten übt, denn genau diese Punkte sind – so Hugo – die Gründe für den Untergang der Stadt. Helena und Ganymed – diese beiden Namen stehen für die Verderbtheit Trojas, die Ursache für seinen Untergang. Der Name Ganymed wird in den Gedichten mehrfach erwähnt, stets, um die Homosexualität zu brandmarken.

Auch die anderen Gedichte Hugos sind gesättigt mit Anspielungen auf die antike Literatur, und doch wird die Grenze der Identifikation Hugos mit den antiken Vorbildern deutlich. In einem Loblied auf Reims betont er in scharfer Form den Wahrheitsanspruch des Christentums gegenüber den Denkern der heidnischen Antike. So heißt es dort (18, 45 – 56):

Non hic artes Marciani

neque partes Prisciani,

non hic vana poetarum,

set archana prophetarum.

Non leguntur hic poete,

set Iohannes et prophete.

Non est scola vanitatis, 

set doctrina veritatis.

Ibi nomen non Socratis,

set eterne trinitatis.

Non hic Plato vel Thimeus,

hic auditur unus deus.

“Hier gelten nicht die Sieben Künste eines Martian oder die Grammatik des Priscian, nicht die Einbildungen der Dichter, sondern die Geheimnisse der Propheten. Dichter werden hier nicht studiert, sondern Johannes und die Propheten. Es ist keine Schule der Falschheit, sondern die Unterweisung in der Wahrheit. Dort findet man nicht den Namen Sokrates, sondern den der Heiligen Dreifaltigkeit. Nicht Platon noch Timaios, sondern der einzige Gott wird hier gehört.“ 10

Gerade die konkretisierenden Hinweise auf den Neuplatoniker MARTIANUS CAPELLA, auf den Grammatiker PRISCIANUS und auf PLATON und TIMAIOS VON LOKROI dienen dazu, die Vertrautheit des Primas im Umgang mit seinen antiken Vorbildern zu belegen. Er verwendet eine Vielzahl von Zitaten und Motiven der antiken Literatur, die er in die eigenen Gedichte einschmilzt. Indem er ungewöhnliche, gesuchte Anspielungen und Zitate verwendet, weist er konkurrierende Dichter in ihre Schranken.

Ein Beispiel: Ein scharf kirchenkritisches Gedicht (16) beginnt folgendermaßen:

Iniuriis contumeliisque concitatus

iam diu concepi dolorem nimium.

Nunc demum runpere cogor silencium,

cernens ecclesie triste supplicium

et cleri dedecus atque flagicium.

“Wütend über Ungerechtigkeiten und unwürdige Behandlung empfinde ich lange schon übergroßen Schmerz. Jetzt schließlich sehe ich mich gezwungen, mein Schweigen zu brechen. Ich nehme nämlich die bedauernswerte Qual wahr, die die Kirche heimsucht, und Schande und Schmach der Kleriker.“

Die Anfangszeile lässt aufmerken, denn sie ist kein Vers, sondern Prosa, ohne Endreim. Des Rätsels Lösung: Sie ist ein doppeltes Zitat. In seiner Coniuratio Catilinae zitiert SALLUST so aus einem Brief des Aufrührers (35, 3.).11

Im selben Gedicht verwendet Hugo das Altfranzösische. Er wechselt mehrfach spielerisch zwischen den beiden Sprachen hin- und her, verwendet aber das ganze Gedicht hindurch lateinische Endreime auf –ium. Die soeben zitierten ersten vier Verse setzt er auf diese Weise fort:

Ker quant vos volez faire d’evesche electium,

currentes queritis intra cenobium

l’abé o le prior vel camerarium,

ut cleri sit caput gerens capucium,

cucula iudicet superpellicum (…).

“Denn wann immer ihr eine Bischofswahl abhalten wollt, stürzt ihr los und sucht den Abt, den Prior oder den Kämmerer innerhalb eines Klosters, damit ein Kapuzenträger Oberhaupt des Klerus sei, damit die Mönchskutte über das Chorhemd urteile.“

“Fluently bilingual, he introduced French alongside Latin as a literary language in its own right and without remark.“12 An einer anderen Stelle findet sich eines komisches zweisprachiges Wortspiel. Auf der Flucht vor einem Widersacher ruft Primas, die Treppe hinabstürzend “Alas, alas!“(Oh weh, oh weh! (neufranzösisch hélas) – sodann vermerkt er dankbar, dass Gott ihm Flügel (alas) verlieh:

Dum demitto me per scalas

sepe clamans “Alas! Alas!“

dedit deus plantis alas;

sic evasi manus malas

cursu debilissimus.   (15.7, 62 – 65).

Hugo ist nicht nur ein Virtuose mittellateinischer Dichtersprache. Souverän verfügt er auch über Zitate, Motive, Themen antiker Literatur. Bei Primas, dem ‘Dichterfürsten’ der Vaganten, gehen klassische Bildung und untrüglicher Realitätsinn Hand in Hand.

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Überliefert von Francesco Pippino, zitiert bei Wilhelm Meyer, Die Oxforder Gedichte des Primas (des Magisters Hugo von Orleans). Nachrichten der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse, Göttingen, 1907, in Heft 1 und Heft 2. Nachdruck in einem Band, Darmstadt (Wissenschaftl. Buchgesellschaft) 1970, S. 4f.

Alle Zitate aus den Gedichten Hugos entstammen der Ausgabe The Arundel Lyrics. The Poems of Hugh Primas. Hrsg. und übers. von C.J. MacDonough. Cambridge Massachusetts/London 2010 (Bd. 2 der Dumbarton Oaks Medieval Library).

Jacques Le Goff, Die Intellektuellen im Mittelalter. München 1993, S. 30f. Zum Lebensstil der Goliarden vgl. auch Jacques Le Goff, Das Hochmittelalter (Fischer Weltgeschichte Bd. 11), Frankfurt 1992 (1965), S. 181.

Das Zeugnis ist zitiert bei Meyer, a. a. O., S. 6.

4   Vgl. MacDonough, S. xvii.

5  München 1994, S. 8. 

6 “Bleibt der Archipoeta anonym?“, Rudolf Schieffer. In: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung Bd. 98/1-2 (1990), S. 59 – 79. S.64f.

McDonough, a.a.O., S. xx.

Zur Weitergabe des Orpheus-Mythos in Europa vgl. die Anthologie Mythos Orpheus: Texte von Vergil bis Ingeborg Bachmann. Hrsg. von Wolfgang Storch, Stuttgart (Reclam) 2010.

Der Verf. dieses Aufsatzes hat eine Arbeit über Calderóns Orpheus-Rezeption veröffentlicht: “El divino Orfeo – Calderón und der Mythos von Orpheus und Eurydike“. In: Forum Classicum 1/2011, S. 55 – 59.

McDonough merkt an (Fußnote 1, S. 250), das Gedicht ende “before the reader learns whether (…) the story has a happy ending“. Aufklärung über den Fortgang der Geschichte

dürfte Hugos zeitgenössisches, klassisch gebildetes Publikum kaum benötigt haben. 

Der Text des Rawlington-Manuskriptes ist verstümmelt. Meyer, a. a. O. S. 64, setzt den Text aus dem Berliner Manuskript fort. In diesem Teil findet sich diese Bitte des Odysseus (Vers 99f.).

10  In derselben Weise bemüht sich etwa Beda Venerabilis, sein Handbuch der Rhetorik und Dichtersprache De Arte Metrica et de Schematibus et Tropis weitestgehend unter Vermeidung heidnisch-antiker Beispiele zu verfassen. Vgl. C. Wurm, Die Sprachen des Beda Venerabilis. In: Forum Classicum 4/2012, S. 290 – 296.

11 Meyer, a. a. O., S. 82: “Catilina und der Primas passen in manchem Stück nicht übel zusammen.“

12  McDonough, a.a.O., S. xvii.

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