Vision und Rausschmiss

Radikales forderte der Berliner Politiker M. Schulz, Repräsentant einer der kleineren im Bundestag vertretenen Parteien, auf seinem Parteitag letzten Monat. Es gelte per Vertrag die ,Vereinigten Staaten von Europa’ zu schaffen, und zwar einigermaßen schnell, bis 2025 nämlich. Kühnheit und avisiertes Zeitfenster dieses Vorstoßes lösten Erstaunen aus. Ein rüder Zusatz aber war es, der für erhebliche Befremdung sorgte, und zwar nicht nur im Ausland, sondern sogar bei den Freunden des Genannten in den Alten Medien, etwa bei den Talk-Show-Nomaden des Staatsfernsehens: Sich weigernde Staaten sollten aus ,Europa’ (gemeint: die E.U.) ausgeschlossen, also rausgeschmissen werden. Auf einmal keine Rede von ,Integration’, der kultisch verehrten Idee!

Schulz‘ Motive liegen auf der Hand. Da ist die persönliche Seite: bärtiges Lächeln auf runzligem Antlitz bei der Erinnerung an seine Funktionärsposition in Brüssel. Das waren goldene (auch im monetären Sinne) Zeiten, kein Vergleich mit dem Berliner Stress und Schlamassel. Und die politische: Jedwede Bürgerkritik an Protektionismus und Regelungswut der Brüsseler Bürokraten ist für ihn belanglos. Schulz‘ ,Vision‘ – so nannte Parteigenosse (nicht: -freund) Gabriel die Idee – ist ein alter sozialistischer Traum. Der Einfluss des starken, betreuenden und sanft, falls nötig aber auch unsanft (siehe Netzwerkdurchsetzungsgesetz), lenkenden Staates soll auf die qualitativ nächsthöhere Ebene des Dirigismus gehoben werden. Also genau das, was der Mehrheit der Briten bei der Brexit-Abstimmung ebenfalls als Vision erschien, und zwar als Horrorvision. Ihrem Rausschmiss durch Schulz sind sie jedenfalls zuvorgekommen!

Es ist verfehlt, Leute wie Schulz stereotyp, als ,überzeugte Europäer’ zu bezeichnen, so wie es in den Alten Medien üblich ist. Hier werden –  in manipulativer Metonymie – die E.U. und ihre Bürokratie mit Europa in eins gesetzt. Es ist nur eins von unzähligen Beispielen für die Verformung und Neudeutung unserer Sprache im Sinne der Herrschenden – und das in diesem Kontext häufig verwendete Begriffsmonster der ,politischen Korrektheit’ gehört seinerseits in diesen rhetorischen Giftschrank.

Ein überzeugter Europäer ist nicht E.U.-Sprachrohr, sondern jemand, der die sprachliche und kulturelle Vielfalt unseres Kontinents und ihre Wurzeln kennt, selber lebt und für verteidigenswert hält. Das genaue Gegenteil von dem, was ein anderer Berufs- und Verbaleuropäer, W. Schäuble, meinte, als er die europäischen Länder über einen Leisten schlug und in infamer Weise von der ,Inzucht’ sprach, die es durch Masseneinwanderung zu bekämpfen gelte, andernfalls werde Europa „in Inzucht degenerieren“. Das ist von Schäuble, zitiert nach Zeit-Online, 8. Juni 2016, und nicht aus dem Biologiebuch für Höhere Lehranstalten von 1942.

M. Schulz hat den Hinweis auf die Probleme der millionenfachen, grenzenlosen (und, vor allem: schrankenlosen) islamischen Einwanderung ins Herz Europas bereits mehrfach durch die Antwort zu entkräften versucht, im 19. Jahrhundert seien ja schließlich auch Massen (katholischer) Polen ins Ruhrgebiet eingewandert; ihre Integration habe doch wunderbar geklappt. Bei ihm gibt es offensichtlich eine Menge an ,Sensibilisierungsbedarf’ für gewisse kulturelle Unterschiede. Sein Borgen des Begriffs ,Vereinigte Staaten’ belegt, dass ihm auch da etwas entgangen ist, nämlich dass die USA nicht Ergebnis eines Eildekrets, sondern organisch gewachsen sind.

Was aus Schulz’ ,Vision’ für Europa wird, steht in den Sternen – welcher Tätigkeit er selber 2025 nachgehen wird, auch.