Toleranz – Akzeptanz – Arroganz

Der Star unter den Begriffen, die in den letzten Jahren Karriere gemacht haben, ist: TOLERANZ. Überall in den Mainstream-Medien und in allen, wirklich allen, Politikerreden ist TOLERANZ präsent. Eröffnet der Bürgermeister einer niederrheinischen Kleinstadt eine neue Tiefgarage, dann hat allerspätestens im fünften Satz das magische Wort zu fallen, und genauso verhält es sich mit den bleiernen Ansprachen des hölzernen F.-W. Steinmeier.

Seit einiger Zeit jedoch macht ein anderes lateinisches Wort der TOLERANZ Konkurrenz: AKZEPTANZ. Um diesen Trend zu verstehen, lohnt es sich, einen Blick auf die beiden Wortpaare werfen: tolerieren – Toleranz – akzeptieren – Akzeptanz.

Das lateinische Verb tolerare kommt von tollere, heben, schultern. Tolerare bedeutet ursprünglich: eine Bürde schultern; ertragen, was einem widerstrebt.

Im Deutschen wie auch in anderen europäischen Sprachen ist diese Bedeutung abgeflacht: Man nimmt irgendetwas hin, ohne dagegen vorzugehen. Der Larousse Classique führt den Beispielsatz an: „Dans la vie sociale, la vertu la plus utile est la tolérance.“ Nützlich ist es also, tolerant zu sein, es erspart einem im Alltag Reibereien. Im Deutschen gehört zu dieser Bedeutung des Verbs tolerieren das Substantiv Tolerierung, das in ganz allgemeinem Sinn die Hinnahme von irgendetwas (=anything) bezeichnet.

Im Hinblick auf den STAAT wird seit der Aufklärung das Substantiv Toleranz verwendet, und zwar in einer spezifischen Bedeutung. Es bezeichnet die staatliche Neutralität gegenüber unterschiedlichen Religionen, „la disposition à laisser à chacun la liberté de pratiquer la religion qu’il professe.“

Diese Wortbedeutung ist im Deutschen der Ausgangspunkt gewesen für die Erweiterung des Begriffs Toleranz auf die Hinnahme – außerhalb des staatlichen Bereichs, durch die einzelnen Bürger nämlich – von fremden Lebensstilen, Formen der Sexualität oder religiösen Überzeugungen

So weit, so gut; als Staatsbürger eines zivilisierten Gemeinwesens sollte all das selbstverständlich sein. Toleranz ist ein anderes Wort für Nichts-Tun! Wir sind ja sogar gesetzlich – mit Recht – zur friedlichen Hinnahme alles Friedlichen verpflichtet. Tolerieren und Toleranz – das ist ein nüchtern-deskriptives Wortpaar, denn Leidenschaft, Kontroverse, Polemik entstehen ja erst, wenn Diskussionspartner hinausgehen über das bloße Zulassen der abweichenden Meinung, sie korrigieren oder ganz widerlegen wollen.

Woher also diese Omnipräsenz des Wortes Toleranz, woher die Inbrunst, mit der da gepredigt wird? Woher die flammenden Appelle? Dieser farblos-unemotionale (NICHT: triviale) Wortsinn dürfte es jedenfalls nicht sein. Soll uns hier etwas anderes – im wahrsten Sinne des Wortes unter-geJUBELT werden?

Werfen wir einen Blick auf das zweite Wortpaar: akzeptieren und Akzeptanz. Hier ist nicht die HIN-Nahme gemeint, sondern etwas grundlegend anderes: die AN-Nahme. Und da liegt der Hase im Pfeffer. Kein Wunder, dass statt von Toleranz zunehmend von AKZEPTANZ die Rede ist, dass die beiden Begriffe fälschlicherweise als Synonyme verwendet werden. Die ewigen Aufforderungen zur Toleranz haben nämlich realiter ein anderes Ziel. Nicht bloß hinnehmen sollen wir, sondern gutheißen. Und genau deshalb, nachdem einmal diese Umdeutung des Toleranz-Begriffs geschluckt ist, wird zunehmend Klartext gesprochen und nicht mehr Toleranz, sondern Akzeptanz gefordert.

Das Internet trieft inzwischen von Formeln wie „Vielfalt und Akzeptanz“, wo ich „Vielfalt und Toleranz“ erwartet hätte. Überall werden „Zeichen für Akzeptanz“ „gesetzt“. Im Mai 2024, so lesen wir mit einer gewissen Verwunderung, sah sich selbst der deutsche Alpenverein dazu berufen, einen „Appell für Offenheit, Vielfalt und Akzeptanz“ loszulassen!

Es stellt sich ein syntaktisches und semantisches Problem. Was ist es denn, was wir da ,akzeptieren‘ sollen? Strenggenommen ist sie BLÖDSINN, diese uneingeschränkte Forderung nach mehr ,Akzeptanz‘, ohne präzisierendes Genitiv-Attribut. Denn sie impliziert ja das Gutheißen aller beliebigen Dinge, also etwas, was nach den Grundprinzipien der Logik unmöglich, da in sich widersprüchlich ist.

Wer in den letzten Jahren Reduktion, Umdeutung, Vereinheitlichung von Sprache im öffentlichen Raum verfolgt hat, der findet unschwer des Rätsels Lösung: Wir sollen das gutheißen, was die Herrschenden, in den Medien und im Politiker-Sprech, jeweils in die Leerstelle einsetzen und uns zu ,akzeptieren‘ vorschreiben wollen.

Und wehe dem, der sich nicht ins Boot zerren lassen will. Von A wie Ausstieg aus der Kernenergie über G wie Gendern bis zu Z wie Zuwanderung.