Das Kreuz mit der Erbse

Was ist ein Symbol? Ein Zeichen, ein Gegenstand, eine Handlung von tieferer Bedeutung. Oft schlicht, ja unscheinbar, aber von großem Gehalt, häufig für umfassende Wirklichkeiten stehend, umständliche verbale Erläuterungen ersparend. Man denke an konventionelle Symbole wie das Kreuz, das Hakenkreuz oder Hammer und Sichel. In der klassischen Definition des amerikanischen Literaturwissenschaftlers M. H. Abrams ist ein Symbol „anything which signifies something else.“

Der Symbolbegriff ist von grundlegender Bedeutung in allen Geisteswissenschaften, etwa wenn es in Kunst- und Literaturwissenschaft gilt, die von einem Autoren oder Künstler individuell geschaffene und verwendete Symbolik, also die Kombination von Symbolen, zu deuten. Ein verwandtes Wort, das erst in den letzten Jahren in den Sprachgebrauch eingedrungen ist, ist ,Symbolpolitik’. Gemeint ist eine Politik, die im Bereich der Inneren Sicherheit nicht handelt, sondern Handeln lediglich symbolisiert, als Sedativ für den tumben Bürger.

In den letzten Jahren vergeht kaum ein Monat ohne Streit über Symbole im öffentlichen Raum, was ist da eigentlich passiert? Die Antwort liegt auf der Hand: Unsere Gesellschaft ist in verschiedene ideologische Lager gespalten, die auf die jeweils verwendete Symbolik der anderen Seite mit Schärfe reagieren.

Und: mit dem Islam hat eine Religion bei uns Fuß gefasst, die vom Kopftuch bis zur Burka Symbole verwendet, die nach Ansicht vieler mit unseren Grundwerten, vor allem dem Prinzip der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, kollidieren.

Ein anschauliches Beispiel eines Symbolstreits ist der um die Nationalfahne. Schwarz-Rot-Gold steht für denjenigen, der Grundkenntnisse deutscher Geschichte besitzt, für Deutschland als demokratische Nation. 1919, mit der Gründung der Weimarer Republik, wurde es zur Nationalflagge erklärt; auch die DDR bediente sich dieser Farben, um sich als demokratischen Staat darzustellen.

Der Linken und ihrer Antifa ist die Fahne verhasst. So ist die ,Anregung’ der Linken Jugend zu verstehen, während der Fußballweltmeisterschaft 2018 Fahnen abzubrechen, so die Aufforderung von Politikern der Grünen, etwa der Symbolfigur C. Roth, an die Fußballfans, nicht zu viele und nicht zu große von ihnen zu schwenken. Die von links-grünen Feinden der Nationalflagge oft verwendete hämisch trivialisierende Bezeichnung „Schwarz-Rot-Gelb“ entstammt übrigens dem Sprachgebrauch der Nazis, die daneben auch von „Schwarz-Rot-Eidottergelb“ sprachen.

Wie ist dieser Hass zu erklären? Nun, die Linke richtet ihren Kampf gegen den Nationalstaat, zugunsten einer den Bürgern aufgezwungenen Internationalisierung. J. Augstein etwa beschwört den Traum von Deutschland als melting pot, mit offenen Toren für jeden, der A wie ,Asyl’ sagen (nicht unbedingt: schreiben) kann, ob mit oder ohne Messer in der Tasche. Auch die symbolische, auf Video dokumentierte Szene, als die derzeitige Kanzlerin A. Merkel bei der CDU-Siegesfeier 2013 indigniert einem Mitarbeiter die Deutschlandfahne aus der Hand nahm, ist in den sozialen Netzwerken mit Recht als das gedeutet worden, was sie ist: eine Distanzierung vom Nationalen. Der Haken dabei ist, dass Demokratie nichts anderes als die Herrschaft des δῆμος bedeutet, also des politisch verfassten Volkes, der Nation.

In einer Talkshow Anfang Juli rief R. Habeck einer CSU-Frau zu: „Ihre Leute sprechen von einem ,Europa der Vaterländer’. Das ist rechter Jargon. Das ist nicht europäisch.“ In Wahrheit wurde diese Formel von De Gaulle, einem der Gründungsväter der Europäischen Gemeinschaft, bekannt gemacht: ,l’Europe des patries’. Ob Habeck das unterschlug, um die Zuschauer für dumm zu verkaufen, oder, weil er es selber nicht wusste – beides würde gut zu einem ,Bundesvorsitzenden der Grünen’ passen. In jedem Fall ist es ein Beispiel brutalster Sprach- und Geschichtsverdrehung à la ,1984’.

Ein weiteres aufschlussreiches Beispiel ist die Kontroverse um die Verwendung des Kreuzes im öffentlichen Raum, genauer gesagt, um das Abnehmen und das Aufhängen von Kreuzen. Als 2016 der EKD-Ratsvorsitzende Bedford-Strohm und Kardinal R. Marx den Tempelberg in Jerusalem erklommen, nahmen sie zuvor ihre Brustkreuze ab und ließen sich dann, gütig lächelnd, zusammen mit einem Imam in der Mitte ablichten, ein Foto, das um die Welt ging.

Es sollte, wie man auf Gutmenschendeutsch sagt, „ein Zeichen für Toleranz und Respekt“ sein – aber diesmal ging der Schuss nach hinten los, und zwar gewaltig. Den Respekt für den Islam bis zum Verzicht auf das Eigene zu treiben, und zwar an dieser symbolischen Stätte, also in der Stadt, wo ein Anderer das Kreuz nicht ablegte, sondern trug, kam nicht gut an. Es wurde von den meisten Beobachtern als übler Akt öffentlicher Arschkriecherei aufgefasst. So nannte etwa ein Kommentator der Jüdischen Rundschau das Verhalten „zum Fremdschämen unterwürfig und geschichtsvergessen“.

Der CSU-Vorstoß zum Aufhängen des Kreuzes in den bayrischen Amtsstuben sorgte ebenfalls für Furore. Nichtchristen, so die Kritik der Gutmenschen, könnten sich provoziert, ja ,ausgegrenzt’ fühlen. Auch hier wieder in vorderster Linie zwei unermüdlicher Streiter: die Anti-Kreuz-Ritter Bedford-Strohm und Kardinal Marx!

Es gibt auch Kontroversen um die Relevanz eines Symbols. Der Jubel der Erdogan-Anhänger auf deutschen Plätzen nach dessen triumphaler Wiederwahl besaß einen höchst unerwünschten Symbolwert, das ließ sich kaum abstreiten. Cem Özdemir twitterte: „Seien wir ehrlich zu uns: Die feiernden deutsch-türkischen #Erdogan Anhänger feiern nicht nur ihren Alleinherrscher, sondern drücken damit zugleich ihre Ablehnung unserer liberalen Demokratie aus.“

Die da auf dem Dortmunder Borsigplatz nicht „Heja BVB“, sondern „Allahu Akbar“ skandierten, sind mehrheitlich Türken, die hier sozialisiert wurden, hier den Politik-, Geschichts- und Sozialkundeunterricht durchliefen und nun dem Sultan zujubeln. Sie wollen also ihren Jubel als Abgesang auf ihre ,Integration’ verstanden wissen. Drei Klicks bei YouTube zeigen, wie noch vor ein paar Jahren die Politiker eben diese Integration ,unserer Türken’ in den Talkshows als mustergültig verkauften.

Aber: Wie repräsentativ waren diese Bilder der Jubler? Nicht die Mehrheit der Türken in Deutschland – so die üblichen Beschwichtiger –, sondern nur die der Teilnehmer an der Wahl hätten Erdogan ihre Stimme gegeben. Nur die Hälfte habe sich beteiligt, von ihnen habe zwar eine Riesenmehrheit, rund 65 Prozent, Erdogan gewählt, aber es seien eben nur 430.000 von 2,8 Millionen in Deutschland lebenden Türken.

Hier wird in einer üblen demokratiefeindlichen Argumentation so getan, also ob eine Wahl dann nicht wirklich repräsentativ wäre, wenn nur die politisch Bewussten sich beteiligten. Selbstverständlich sind sie es, die das Kollektiv repräsentieren. Für die anderen gilt, was Heraklit schon vor zweinhalbtausend Jahren erkannte: τοὺς καθεύδοντας ἐργάτας  εἶναι καὶ συνεργοὺς τῶν ἐν τῷ κόσμῷ γινομένων – „dass die Schlafenden Tätige, Mitwirkende sind bei dem, was auf der Welt geschieht.“

Und dann gibt es den Versuch, Symbole zu entwerten, indem man sie ihres tieferen Sinnes entleert und sie auf die Bildebene reduziert. Als sich etwa zwei Nationalspieler mit „ihrem Präsidenten“ ablichten ließen, hieß es: „Man sollte die Bedeutung dieses Fototermins mit Erdogan nicht überdramatisieren. Ist doch schließlich nur ein Foto.“ Dann folgte noch ein Fototermin mit dem Bundespräsidentendarsteller F.-W. Steinmeier, und der DFB dekretierte, die Sache sei hiermit offiziell erledigt. (Hätte sich irgendein Spieler mit Donald Trump fotografieren lassen, unter dem Motto ,My President’, – der ,Aufschrei’ wäre jetzt, Wochen später, noch nicht verhallt.)

Oder: „Ob Bikini oder Burkini ist egal, Hauptsache die Schülerinnen lernen schwimmen.“ Eine ZEIT-Journalistin rühmte sogar den praktischen Nutzen des Burkini. Für sie selbst etwa wäre ein Burkini in Jugendjahren hilfreich gewesen, sei sie doch von ihren MitschülerInnen beim Schwimmunterricht wegen ihres zu kleinen, ja nicht vorhandenen Busens gehänselt worden; seinetwegen habe man sie unsensibel ,Erbse’ genannt. Frage: Oder galt die Erbsenmetapher der spezifischen Dimension ihres Gehirns?

Denn Symbole auf das Sichtbare zu reduzieren, ist ein dummdreistes Verfahren. Und zwar deshalb, weil nicht nur der Sinn dieser Zeichen unterschlagen wird, sondern so demjenigen, der ihn erkennt und zur Diskussion stellt, auch noch unterstellt wird, ein Spinner zu sein, Gespenster zu sehen, statt sich an die schlichte Evidenz des Faktischen zu halten.

Nach demselben Prinzip könnte man etwa fragen: „Was soll schon die kraklige Unterschrift? Was bedeutet schon ein Händedruck? Man braucht sich nicht an Verträge zu halten.“

Sollte in ein paar Jahren von moslemischer Seite gefordert werden, in jedes Klassenzimmer die grüne Fahne des Propheten zu hängen, und daneben noch ein Bild von Erdogan, dann werden Claus Kleber, ZEIT, Süddeutsche Zeitung und Spiegel – falls es sie dann noch gibt – dafür plädieren, diesem bescheidenen Wunsch zu entsprechen: „Was soll die Aufregung, man kann doch  unter einem Bild genauso gut lernen (oder faulenzen) wie vor einer leeren Wand.“