Guter Wein und schöne Männer

Wenn ein Wort im Italienischen allgegenwärtig ist, dann ,bello’. Es hat einen großen Bedeutungsumfang, von ,schön’ und ,schick’ über ,gut’ bis ,angemessen’ und ,günstig’. Oft wird es auch sarkastisch für das jeweilige Gegenteil verwendet, etwa: ,Bella figura!’, ,Schöne Blamage!’. Im Spanischen und Portugiesischen dagegen meint ,bello’/,belo’ ausschließlich Schönheit im vollen Wortsinn.

,Bello’ existiert in ähnlicher Form in allen romanischen Sprachen, muss also aus dem Lateinischen stammen. Frage: Warum steht das Wort in jedem Italienisch- oder Französischbuch auf der ersten Seite, während ,bellus, -a, um’ in den Lateinbüchern keine Rolle spielt? (Wohl aber ,bellum’, von ,duellum’: ,der Krieg’.) Die erste Vermutung ist in solchen Fällen immer, dass das Wort ins Vulgärlatein gehört oder eine spätere Wortschöpfung ist, etwa des Mittelalters.

Ein Blick in die gängigen Handbücher zeigt, dass davon keine Rede sein kann: ,bellus, -a, um’ wird, sogar mehrfach, von Cicero höchstpersönlich verwendet. Von einem gewissen Corumbus etwa schreibt Cicero, er gelte als ein tüchtiger Architekt, als ,bellus architectus’ (Att. 14,3,1); Leute mit guten Umgangsformen nennt er ,homines belli’ (Att. 1,10,4); an anderer Stelle sagt er, es sei absurd, Cato und Lysias in ihrer Qualität als Redner miteinander zu vergleichen: „würden wir hier im Scherz miteinander reden, dann wäre das ein Fall von gelungener Ironie “, „bella ironia, si iocaremur“ (Brut. 293). Die Freizeit sei die angenehmste Stütze des Alters, ,subsidium bellissimum’ (De Orat. I, 255). Einen Freund fordert er in einem Brief auf, ,gesund und munter’ (=,bellus’) von einer Reise zurückzukehren (Ep. 16,18,1).

In seinem ,Handlexikon zu Cicero’ listet Hugo Merguet noch zahlreiche weitere Belegstellen dieser Art auf. In anderen Lexika finden wir den Beifallsruf ,Belle’! (Adverb) und ,bellae puellae’, ,hübsche Mädchen’. ,Vinum bellissimum’ hat exakt dieselbe Bedeutung wie zweitausend Jahre später: ,È un bellissimo vino!’

All diese Verwendungen bezeichnen nie Schönheit als vollendete Harmonie – ohne jedoch bis zur Sinnleere abgeschliffen zu sein wie postsemantische Worthülsen à la ,nice’, ,great’, ,cool’. (Auch ein Grund für den Triumph des Englischen als Weltsprache: die Wonne sinnbefreiten Sprechens.) ,Bellus’ entspricht Wörtern wie ,ansehnlich’, ,gelungen’, ,reizend’, ,hübsch’, ,fein’: solchen Adjektiven, die relative Schönheit bezeichnen, sich nicht auf den Wesenskern beziehen.

Hermann Menge nennt in seinem Lexikon das Wort ,umgangssprachlich’, und es fällt auf, dass die große Mehrzahl der von Hugo Merguet genannten Stellen aus den Privatbriefen Ciceros stammt, weniger aus seinem literarischen Werk. Das lateinische Adjektiv für ,schön’ ist nicht ,bellus‘, sondern ,pulcher’. In der Volkssprache wurde ,pulcher’ dann durch ,bellus’ verdrängt: In Jacqueline Picoches ,Dictionnaire étymologique du français’ lesen wir zum Ursprung von ,beau’: „bellus, qui a éliminé pulcher, decorus, formosus, plus usuels en lat. class. et qui expriment d’autres nuances de la notion de beauté.“

Dem Kompliment an eine Frau ,belle comme un astre’ entspräche daher im Lateinischen ,pulchra ut astrum’, ,bella’ würde hier nicht richtig passen, da das Adjektiv für Trivialeres reserviert ist. So wird etwa Ciceros Freund und Briefpartner Atticus die wenig humane Maxime zuteil: „Est bellum aliquem libenter odisse“ – „Es ist doch eine feine Sache, jemanden so richtig zu hassen“ (Att. 13,54,2). Und bei Martial, dem boshaften Satiriker, ist ein ,homo bellus’ (3,63) nicht unbedingt ein schöner Mann, sondern ein künstlich gelockter, ein enthaarter, wohlparfümierter.