Im Pantheon mit Don Quijote oder: Bekanntsein um jeden Preis

Unter den unzähligen merkwürdigen Geschichten, die das Meisterwerk des Cervantes so lesenswert machen, ist auch die folgende, die der hochedle Ritter seinem Knappen erzählt:

„Der Kaiser Karl V. wollte [in Rom] jenen berühmten Rundtempel besichtigen, der in der Antike Pantheon, Tempel Aller Götter, hieß und jetzt, mit besserem Namen, die Kirche Aller Heiligen. Es handelt sich um das vollständigste Gebäude, das von denen, die während der heidnischen Zeit errichtet wurden, geblieben ist, und es ist dasjenige, das am meisten den Ruhm der Erhabenheit und der Großzügigkeit seiner Erbauer bewahrt.

Es hat die Form einer Apfelsinenhälfte und ist äußerst groß und sehr hell, ohne dass aus einer anderen Richtung Licht einträte als aus einem einzigen Fenster, besser gesagt einer runden Öffnung ganz oben. Von ihr aus betrachtete der Kaiser das Gebäude, und an seiner Seite war ein römischer Ritter und erklärte ihm die Vorzüge und Feinheiten jenes gewaltigen Baus, jener merkwürdigen Architektur.

(Das Foto stammt aus Eckart Peterich, Rom. Ein Führer. München 1990, S. 329)

Nachdem sie die Öffnung verlassen hatten, sagte er zum Kaiser: ,Tausendmal kam mir, Heilige Majestät, das Verlangen, Eure Majestät zu umarmen und mich zusammen mit Ihnen nach unten zu stürzen, um mir so ewiges Andenken auf der ganzen Welt zu verschaffen [por dejar de mí fama eterna en el mundo].’ ,Ich danke Euch,’ lautete die Antwort des Kaisers, dass Ihr eine so schlimme Absicht nicht in die Tat umgesetzt habt. Von nun an werde ich Euch keine Gelegenheit mehr bieten, einen Beweis Eurer Loyalität abzulegen, und so befehle ich Euch, mich nie wieder anzusprechen, noch irgendwo zu sein, wo ich mich aufhalte.’ Und nach diesen Worten machte er ihm ein großes Ehrengeschenk.“

(II, 8. Übersetzt nach der Ausgabe von M. de Riquer, Barcelona 1968, S. 592f.)

Ich musste bei der Lektüre an die Bluttat von Münster denken, wo jemand viele Unschuldige verletzte oder mit sich in den Tod riss: Welche Gedanken auch immer diesem (Selbst-)Mörder durch den Kopf gingen, einer war jedenfalls der an das Aufsehen, das er erregen würde, an die Schlagzeilen.

Thema der von Cervantes erfundenen Anekdote über Karl V. (1500 – 1558) ist nicht die Sucht nach Ruhm, die cupiditas gloriae, wie Plutarch sie Julius Cäsar bescheinigt, sondern nach bloßer Bekanntheit. Deshalb spricht der römische Ritter auch nicht von ,gloria eterna’, sondern von ,fama eterna’, die er nicht für eine Tat, sondern für eine Untat geerntet hätte – wäre er seinem Impuls gefolgt. Don Quijote erwähnt einen vergleichbaren Fall, dieses Mal ein reales Ereignis aus der Antike, nämlich die Untat des Herostrat.

Herostrat (Ἡρόστρατος), ein Bürger von Ephesos, steckte 356 v. Chr. den dortigen Tempel der Artemis an – eins der Sieben Weltwunder –, um seinen Namen zu verewigen, wie er nachher auf der Folter gestand. Er, ein Niemand, zum kleinsten kreativen Akt unfähig, beging den der maximalen Zerstörung. Was nun geschah, berichtet Aulus Gellius in seinen Noctes Atticae (Buch II, Kap. 6): Die kleinasiatischen Griechen hielten eine Nationalversammlung ab, auf der sie beschlossen, nie dürfe jemand den Namen des Frevlers nennen. Gellius führt den Vorfall an, um den Begriff ,inlaudatus’ zu erläutern. Ein ,inlaudatus’ ist jemand, der es nicht verdient, genannt zu werden, er ist weder der Erwähnung noch der Erinnerung würdig: „neque mentione aut memoria ulla dignus“.

Trotz dieses Beschlusses überlieferte der zeitgenössische Historiker Theopompos von Chios den Namen des Herostrat und verhalf ihm so ans Ziel. Sir William Smith bringt es im Dictionary of Greek and Roman Biography and Mythology auf den Punkt: „Theopompos embalmed him in his history, like a fly in amber“.

Der Drang nach allgemeiner Bekanntheit oder oberflächlicher Popularität blieb nicht auf frühere Zeiten beschränkt. Das braucht dem Fernsehzuschauer oder YouTube-Nutzer keiner zu erklären. Auch nicht: dass dieser Drang stärker sein kann als Anstand und Scham, die bei dem römischen Ritter die Oberhand behielten. Der Menschenschlag, der Bekanntheit sucht, findet sich heute wie damals; er tobt sich zumeist in Politik und Unterhaltung aus.

Man denke an boshafte Proletkomiker wie S. Raab und J. Böhmermann, den Sprecher des Dezernats ,Humor’ beim GEZ-Meinungssender ZDF. Statt ihr Brot ehrlich zu erwerben, füllen sie ein paar Jahre lang den Bildschirm mit ihren Visagen, bevor sie schließlich samt ihren Unappetitlichkeiten wieder ,von der Bildfläche’ in den Orkus verschwinden – finanziell allerdings deutlich besser gestellt als zuvor. Weitere Exempel: Schrägstimmige Sänger(innen) setzen sich den Kommentaren eines D. Bohlen aus, andere Ruhmgierige suhlen sich derweil im Spinnen- und Schlangenmorast des Dschungelcamps.

Ihr Traum heißt Ruhm plus Geld ohne Leistung, und das am besten möglichst lange. Dieses Phänomen der instant celebrity ist im angelsächsischen Sprachraum bereits in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts mit aller Klarheit beschrieben worden.

1966 nannte die britische Rockgruppe The Troggs ihr erstes Album ,Aus dem Nichts’ (From Nowhere). Ein anderer Sixties-Star, das Model Twiggy, die Spindeldürre, war immerhin schlau genug, auf dem Höhepunkt des ,Ruhms’ zu begreifen: „I may not be around here for another six months.“