In Stein zu meißeln – Katalanische Sentenzen

Einer der Großen des Mittelalters, der Katalane Ramon Lull, verfasste während einer Schiffsreise von Rom in seine Heimat Mallorca im Jahre 1302 Mil Proverbis, „Tausend Sprichwörter“, eine unterhaltsam-lehrreiche Sammlung eigener Sentenzen. Der Universalgelehrte wurde um 1232 in Palma de Mallorca geboren und starb 1316 auf einer anderen Reise, der Fahrt von Tunis nach Mallorca).

Das Werk ist in 52 Kapitel gegliedert, von De Deu (Von Gott) bis De intenció (Über die Absicht).

Ramon Lull schreibt über die Entstehung dieser Sentenzensammlung in einer kurzen Nachbemerkung: „Començat e finit fo aquest libre vinent d’oltra mar per enteció de amar, honrar e servir Deu en l’any .m.ccc.ii. de la encarnació de nostro senyor Jesuchrist. Amen.“ – „Begonnen und beendet wurde dieses Buch, während ich von jenseits des Meeres kam, mit der Absicht, Gott zu lieben, zu ehren und ihm zu dienen, in dem Jahr MCCCII seit der Fleischwerdung unseres Herrn Jesus Christus.“

Die eine oder andere gedankliche Wiederholung lässt sich dadurch erklären, dass Llull seine Sentenzen Rednern zum Gebrauch im jeweiligen Redekontext anbieten wollte.

De parlar, capitol .xlviii. – Vom Sprechen, Kapitel 48:

(1) Wovon du etwas verstehst, davon rede gerne. Wovon du nichts verstehst, davon rede nur, wenn man dich dazu zwingt.

(2) Da das, was du weisst, nicht so viel ist wie das, was du nicht weisst, mach‘ nicht viele Worte.

(3) Denke viel nach und sprich wenig, dann wirst du weise sein.

(4) Erst denken, dann reden.

(5) Vom Sprecher lerne zu sprechen und zu schweigen.

(6) Verrückt reden zeigt den Verrückten.

(7) Bedenke erst das Ende/den Zweck dessen, was du sagst, bevor du sprichst.

(8) Wenn du die Rede mit dem ausstattest, was ihr anfangs, in der Mitte und am Ende angemessen ist, dann verwendest du Rhetorik.

(9) Das Wort ist Abbild, Ebenbild des Gedankens.

(10) Durch schlechte Worte gehst du auf schlechten Wegen.

(11) Der Gedanke bewegt das Wort, und das Wort bewegt  Füße und Hände.

(12) Durch gute Worte wirst du gut sein.

(13) Sprich viele und gute Worte und du wirst viele und gute Freunde haben.

(14) Aus guter Laune heraus wirst du viele und gute Worte sagen, und aus schlechter schlechte.

(15) Von dir selbst mach‘ nicht viele Worte.

(16) Das böse Wort hat Angst.

(17) Zu schönen Worten passen schöne Angewohnheiten.

(18) Rede oft von dem, der dir ebenbürtig ist, und wenig von dem, der größer ist als du.

(19) Unternimm es nicht, ohne Notwendigkeit zu sprechen.

(20) Das Wort erfordert das richtige Verhältnis zwischen sich selbst2, der Zeit, dem Ort und dem Zuhörer.“

Vielleicht wäre es hilfreich, diese ,goldenen Regeln‘ in Stein gemeißelt an öffentlichen Orten anzubringen – angefangen vom Plenarsaal des Deutschen Bundestages.

1  „costumes“, Sitten, Angewohnheiten, Umgangsformen

„si matexa“, sich selbst=dem Wort selbst

Übersetzt nach der kritischen Ausgabe (sie enthält auch ein weiteres Werk Llulls, Proverbis d’ensenyament), von Francesc Tous Prieto, Palma de Mallorca (Patronat Ramon Llull) 2018, Kapitel 48,  S. 178f.