Kunst, Karotte, Karosserie

Joachim-Raphaël Boronali, Et le soleil s’endormit sur l’Adriatique (Und die Sonne entschlief über der Adria)

 

Was es mit diesem Gemälde auf sich hat, erfahren die Uneingeweihten am Ende dieses Eintrags. Die Illustration habe ich einem Artikel der neuesten Ausgabe des französischen Wissenschaftsmagazins Science & pseudo-sciences entnommen. Er trägt den Titel „Un robot pourrait-il créer une œuvre d’art?“1 – „Könnte ein Roboter ein Kunstwerk schaffen?“

Die Frage ist nicht neu. Als zum Beispiel im Jahre 2014 Apple den Usern über die Automatische Download-Funktion ein Gratisalbum der Rockgruppe U2 in ihre Mediatheken schleuste, kam es zu Protesten. Viele wollten den ,Zwangsdownload’ (ein damals entstandener Neologismus) gar nicht haben. Das Album der in die Jahre gekommenen Rock-Recken war so uninspiriert, dass der Verdacht aufkam, Computer hätten es, vielleicht bis auf die angerostete Gesangstimme, komponiert und erstellt.

Genau um dieses Thema, die ,Schaffenskraft’ von Robotern und Computern, geht es in dem Artikel. Um es vorweg zu sagen: Alle im Text gelieferten Beispiele legen nahe, die Frage nach der ,Kreativität’ im Titel des Artikels mit Non zu beantworten. Der Mensch ist es, der den Stecker einsteckt, der der Maschine die Aufträge erteilt, die sie dann mit den von ihm bereitgestellten technischen Mitteln löst. Er entscheidet auch über die Verwendung des Produktes, er kann etwa eine Endauswahl treffen.

Im Grand Palais de Paris findet zur Zeit eine Ausstellung mit dem Titel ,Artistes & Robots’ statt, aus deren Begleittext die Verfasserin des Artikels zitiert (S.78): „[D]epuis les grottes préhistoriques, les artistes ont su jouer de leur milieu technique.“ – „Seit den prähistorischen Höhlen haben Künstler es verstanden, mit ihrer technischen Umwelt zu spielen.“ Ein ernüchternder Satz, denn er belegt: der Computer ist nicht Künstler, sondern Werkzeug.

Die Beispiele, die die erstaunlichen Fähigkeiten der Roboter illustrieren, stammen aus allen Bereichen der Kunst. So haben Maschinen etwa einen kompletten Harry Potter-Roman produziert, ein Gemälde im Stile Rembrandts (der Rechner brauchte über 5000 Arbeitsstunden) sowie einen Pop-Song im Stil der Beatles, ,Daddy’s Car’ (wahrscheinlich in fünf Minuten).

Der Roboter Mortimer ist ein perfekter Schlagzeuger („manie parfaitement les baguettes“), sein neunzehnfingriger Kollege Teotronica erwies sich als hervorragender Mozartinterpret, der auf einer Computer-Messe in China an der Seite eines Humanpianisten das Publikum begeisterte.

Insofern ist die im Text aufgeworfene Frage „La réalisation d’une machine ou d’un robot peut-elle inspirer une émotion esthétique?“ – „Kann das Erzeugnis einer Maschine oder eines Roboters eine ästhetische Emotion hervorrufen?“ klar mit Oui zu beantworten.

Es bleibt die Frage, wie nahe uns die Maschinen kommen. In einem Expertenzitat am Ende heißt es: „bien que nous éduquions nos enfants et que nous soyons essentiels à leur développement intellectuel, cela n’empêche pas qu’une fois séparés de nous, on puisse dire qu’ils sont – eux – intelligents.“ – „Obwohl wir unsere Kinder erziehen und wesentlich für ihre geistige Erziehung sind, schließt das nicht aus, dass man sagen kann, dass sie selber intelligent sind, wenn sie einmal von uns getrennt sind.“

Kann es wirklich so weit kommen, fragt die Verfasserin, dass ein Roboter, der am Fließband Karosserien produziert, auf einmal, „de façon imprévisible“, anhält und aus eigenem Antrieb aus einer Karosserie eine Skulptur gestaltet? „Cela est-il réellement envisageable?“

Diese weder von ihr noch von mir beantwortete  Frage soll der Abschluss dieses Blog-Eintrags sein, allerdings bleibt noch das obige Gemälde aus dem Jahre 1910. Nein, es wurde nicht von einem Computer gemalt – sondern von einem Esel. ,J.-R. Boronali’ ist ein Anagramm des Eselnamens Aliboron aus den Fabeln Jean de La Fontaines (1621 – 1695).

Um sich über den Snobismus der Kunstwelt lustig zu machen, hatte eine Gruppe von jungen Künstlern in Montmartre die Idee, einen Esel mit Möhren dazu zu bringen, seinen Schwanz auf einer Leinwand zu bewegen und das Gemälde zu ,kreieren’, motiviert, nicht programmiert.  Zugleich veröffentlichten sie ein ,Manifeste de l’excessivisme’.

Lolo, so der Name des genialen Grautiers, das das Bild schuf – ein um einiges begabteres als ein Joseph Beuys.

 

1 Von Brigitte Axelrad, Ausgabe Juli/September 2018, S. 77 – 83