Traduttore, traditore – Traduire, c’est trahir -Der Übersetzer: ein Verräter

Aus Pascals Pensées:

Die Menschen sind notwendigerweise so verrückt, dass ein nicht-Verrückter nur auf andere Weise verrückt wäre.

Wahr auf dieser Seite der Pyrenäen, falsch auf der anderen.

Wer die Eitelkeit der Welt nicht sieht, ist selber eitel.

Die Nase der Kleopatra: Wäre sie kürzer gewesen, das ganze Antlitz der Erde hätte sich gewandelt.

Vielfalt, die nicht auf Einheit zurückgeht, ist Wirrwarr; Einheit, die sich nicht auf Vielfalt gründet, Tyrannei.

Der Mensch ist weder Engel noch Tier, und das Unglück will es, dass, wer den Engel spielen will, zum Tier wird.

Nie tut man das Böse so vollständig und mit so heiterer Gelassenheit, wie wenn man es mit gutem Gewissen tut.

Zwei Exzesse: die Vernunft ausschalten; nichts als die Vernunft zulassen. (1)

Les hommes sont si nécessairement fous que ce serait être fou par un autre tour de folie de n’être pas fou. (414-112)

Vérité en-decà des Pyrénées, erreur au-delà. (294-609)

Qui ne voit pas la vanité du monde est bien vain lui-même. (164-36)

Le nez de Cléopâtre: s’il eût été plus court, toute la face de la terre aurait changé. (162-413)

La multitude qui ne se réduit pas à l’unité est confusion; l’unité qui ne dépend pas de la multitude est tyrannie. (871-604)

L’homme n’est ni ange ni bête, et le malheur veut que qui veut faire l’ange fait la bête. (358-678)

Jamais on ne fait le mal si pleinement et si gaiement que quand on le fait par conscience. (895-813)

Deux excès: exclure la raison, n’admettre que la raison. (253-183)

An Pascal-Zitaten, in alle Sprachen übersetzt, ist im Internet kein Mangel. Einzelzitate, aber auch ganze Sammlungen von Auszügen aus den Pensées sind leicht zu finden.

Als ich ein paar solcher Stellen auswählte und übersetzte, ging es mir primär nicht um die Weitergabe von philosophischen Einsichten Pascals – obwohl ich das mit diesen Zitaten aus den Pensées gerne tue – sondern um eine philologische Frage: Wie genau ist es zu erklären, dass die Übersetzungen (mehr oder weniger)  wirkungsvoll sein mögen, wenn sie für sich stehen, beim Vergleich mit den französischen Originalen aber sofort schwerfällig und unelegant wirken?

Pascals schlichter Wortschatz, seine Antithesen, Paradoxa und überraschende Beispiele sind unschwer wiederzugeben. Kein Vergleich etwa mit Problemen, die sich dem in den Weg stellen, der sich daran macht, Philosophisches aus dem klassischen Griechisch zu übersetzen.

Ebenso seine semantischen und syntaktischen Stilfiguren, etwa: Vielfalt Einheit Wirrwarr Einheit VielfaltTyrannei. Was genau aber ist es, was die Originalzitate so unnachahmlich und einprägsam macht?

Die Hauptursache, denke ich, liegt in der Wortlänge. Der französische Wortschatz stellte Pascal eine Vielzahl wesentlich kürzerer Wörter zur Verfügung, als sie der deutsche Übersetzer hat. Im ersten Zitat etwa entspricht dem winzigen Einsilber fou, der die ganze Bedeutungslast trägt, das deutsche ,verrückt‘, das die Übersetzung klobiger macht als das Original.

Außerdem ist der Satzrhythmus schwer nachahmbar, ebenso natürlich die Klanggestalt, die Pascal stets wirkungsvoll einzusetzen versteht. So verwendet er für seine Antithesen gerne Wörter mit derselben Silbenzahl, was die Gegenüberstellung scharf hervortreten lässt: en-decà versus au-delà, ange versus bête.

Meine Zitate aus den Pensées sind auf Deutsch alle länger als die Originale, wirken in der Gegenüberstellung wie aufgedunsen.

Dabei ist maximale Kürze bei maximalem Inhalt das Grundkriterium für das Gelingen aller Sentenzen, Sprichwörter, Bonmots. Darauf zielen alle Epitheta, die man im Deutschen für solche sprachlichen Äußerungen verwendet, zum Beispiel ,glänzend formuliert‘, ,geschliffen‘, ,zugespitzt‘ ,pointiert‘, ,(aus-)gefeilt‘. Keinesfalls zufällig ist, dass solche Wörter, die den gelungenen Stil rühmen, meist Perfekt-Partizipien sind, also Verbformen, die den Abschluss einer Handlung bezeichnen, hier den des Arbeitens, des Feilens an der Formulierung. Eleganz, so heißt es ja, ist die Kunst des Weglassens.

Der Nachteil des Vergleichs mit dem Original gilt selbstverständlich auch für französische Übersetzungen, vor allem für Texte aus solchen Sprachen, die sich noch kürzer fassen: Latein, Englisch, Spanisch, wo es die französischen Wiedergaben sind, die oft recht unvorteilhaft in die Breite gehen.

Ein Hauptproblem der Wiedergabe deutscher Texte im Französischen besteht darin, dass dabei nicht nur Klanggestalt und Rhythmus, sondern auch kernige Schlichtheit und Tiefe (=Herleitbarkeit aus Elementarwörtern) des germanischen Wortmaterials verloren gehen, wenn aus Grund raison, aus Handlung action, aus Gefühl émotion, aus Bewunderung admiration, aus verrückt fou wird. Im Englischen, wo romanische und germanische Elemente im Wortschatz Seite an Seite gebraucht werden, tritt dieser Unterschied ebenfalls hervor: jeder Gast freut sich über a hearty welcome mehr als über a cordial reception.

Zurück zu Pascal. Zurecht lernen französische Schüler (2):

„Auch seine erbittertsten Verleumder, die seine apologetische Haltung ablehnen, würdigten eminente stilistische Qualitäten Pascals: die Präzision seines Wortgebrauchs – unverzichtbare Bedingung für die Klarheit des Denkens – die Ablehnung von Übertreibungen und Exzessen, den Sinn für die Formel.“

„Même ses plus farouches détracteurs, qui contestent sa démarche apologétique, reconnaissent à Pascal d’éminentes qualités de style: la précision du mot, condition indispensable à la clarté de la pensée, le refus des outrances et des excès, le sens de la formule.“

(1) Zitiert und übersetzt nach der Ausgabe von D. Descotes (Flammarion) Paris 1976.

(2) Alain Couprie, Pensées. Grandeur et misère de l’homme. Blaise Pascal, (Profil BAC, Hatier) Paris 2008, S. 6.