Von Posen und von Poseuren

Dass das Posieren, die eitle Selbst-Darstellung, im Alltag allgegenwärtig geworden ist, bedarf keiner Erklärung, es reichen die alliterativen Stichwörter Smartphone, Selfie, Selfie-Stick. Im Gegensatz zum schlichten Blick in den Spiegel kosten die, die sich da selbst zulächeln, ihren Narzissmus doppelt aus. Sie schwelgen nicht nur in den Wonnen des eigenen Bildes, sondern auch in der  Vorstellung, dass ihre Bekannten bei Erhalt des Selfies diesen Anblick ebenfalls goutieren werden.

Im Bereich der Politik ist die Pose in einer anderen Form präsent. Man denke an jenen Wuschelkopf mit der gefurchten Stirn, der als deutscher Wirtschaftsminister posiert, dessen Dilettantismus, dessen fachliche Insolvenz jedoch bei jeder näheren Talk-Show-Befragung offen zutage tritt. Einen Hochstapler mag man ihn deshalb trotzdem nicht nennen, dafür tarnt er seine Ignoranz der ökonomischen und energiepolitischen Feinmechanik nicht durchtrieben genug. Jeder, der mal im universitären Bereich mit Geisteswissenschaftlern zu tun hatte, kennt diesen Typus des germanistischen Rauners und Schwurblers. Über die Posen der Außenminister-Darstellerin ließe sich auch einiges sagen, der Titel dieses Blog-Eintrags müsste dann um den Begriff der poseuse erweitert werden. (Wen es interessiert: Ich habe hier auf diesem Blog im letzten Jahr ihr Buch rezensiert).

Ein viel dreisterer Typus des Selbstdarstellers ist der des bewußt betrügerischen Manipulators. Das bekannteste Beispiel der letzten Jahre ist der ,Spiegel‘-Autor Claas-Hendrik Relotius, jener Betrüger, der 2018 als Verfasser teilweise frei erfundener ,Reportagen‘ – etwa zu den Segen der Merkelschen Migrationspolitik oder den Verfehlungen des Donald Trump – entlarvt wurde.

Zuvor war er viermal mit dem deutschen Reporterpreis aufgezeichnet worden. (Keinerlei Evidenz gibt es dafür, dass Jury-Mitglieder wie Caren Miosga oder Friedrich Küppersbusch, die sich selbst als ,kritische Journalisten‘ sehen, danach etwa in sich gegangen wären.)

Übrigens: Ausgerechnet 2014, also zwischen zwei Jahren, in denen er jeweils den Preis erhielt, wurde das Wort ,Lügenpresse‘ von einem woken ,Expertengremium‘ zum Unwort des Jahres gekürt.

Der Minister ist ein Schaf im Schafspelz, der Journalist war ein manipulativer Wolf im Schafspelz. Eine weitere Variante ist die des Schafs im Wolfspelz. Man denke an die Kids von Fridays For Future, die Schulschwänzen und Demos nutzen, um Aufruhr und Rebellentum zu mimen, während sie genau wissen, dass ihnen dafür haufenweise Beifall gewiss ist. Neben den Plakaten vergessen sie auch den Selfie-Stick nicht, da man auf der Demo jede Menge herrlicher Selfies machen kann; das Ganze statt Mathe-Unterricht.

Auf Twitter berichteten Eltern, als es vor drei Jahren losging, sogar von Fällen, in denen Klassenlehrer einzelne Dissidenten zu sich zitierten und Auskunft darüber verlangten, warum diese Schüler denn NICHT pflichtschuldigst zur Demo gegangen seien.

Vor zehn Jahren las man in der deutschen Presse, dass betagte Demonstranten sich wie waschechte civil rights activists von polizeilichen Einsatzkräften forttragen ließen – und dabei lachten: Es war schließlich nicht Alabama 58, sondern bloß Stuttgart 21.

Zur Schaf-im-Wolfspelz Pose gehört auch eine neulich von mir in der Vorabendmesse gehörte Predigt, in der der Pater in  gedehnter Rede von seinen Missionserfahrungen in Afrika berichtete. Jeder sei dort im Gottesdienst willkommen, egal ob er 2, 3 oder 4 Ehefrauen habe. Der Kirche stehe es nicht zu, solche Menschen auszugrenzen. Mit Donnerstimme forderte er dann, die Kirche müsse endlich TOLERANT werden.

Die kleinste, billigste, abgegriffenste Münze des gegenwärtigen öffentlichen Diskurses, die obligatorische Forderung nach TOLERANZ  – vorgetragen im Duktus eines widerborstigen Mahners …

Wie lautete doch eines der zentralen motti des Barock?  „Alles ist eitel.“