,Jetzt‘ – Annalena Baerbock

Als ich mir vor ein paar Tagen Annalena Baerbocks Buch Jetzt bei Amazon bestellte, waren mir zwei Dinge gleichgültig: die Debatte um die nicht gekennzeichneten Zitate genauso wie die schrille grüne Gegenwehr.

Nie Freund oder Wähler der Grünen, habe ich das Buch gelesen, um genauer zu erkunden, woran ich bei den Grünen 2021 bin, was bei einer Regierungsbeteiligung zu erwarten ist.

Vor allem interessierte mich, was Baerbock in diesem – für den Wahlkampf ihrer Partei tonangebenden – Buch zu kritischen Einwänden gegen aktuelle grüne Politik, etwa im Bereich der Energieversorgung oder der Einwanderung, zu sagen hat. 

Vier Kapitel sind es, die den Hauptteil des Buches ausmachen:  ,Der Mensch im Mittelpunkt‘ – ,Verändern, um es besser zu machen‘, – ,Erneuerung braucht Halt‘, – ,Europäisch handeln‘; es folgt ein Ausblick, der den Titel ,Kein Schlusswort‘ trägt.

Baerbock stellt diese Themenfelder vor dem Hintergrund in den Text eingeflochtener eigener Alltags- und Lebenserfahrungen dar (sie ist Jahrgang 1980, stammt also, wie sie betont, aus dem Gründungsjahr ihrer Partei).

Wie zu erwarten, enthält das Buch keine Überraschungen, was die grünen Positionen betrifft: klimafreundliche Politik, CO2-Ausstoß reduzieren, Willkommenskultur, Stärkung der Europäischen Union, Kooperation mit den USA.

Bemerkenswert aber ist die Art und Weise, wie Baerbock mit Kritikpunkten an diesen Säulen des grünen Programms umgeht. Sie tut es auf die denkbar schlichteste Art: nämlich gar nicht. Irgendeine differenzierte Auseinandersetzung fehlt.

Beispiel: Wie steht es 2021 um die Kernkraft, die gerade wegen des Klimawandels in unseren europäischen Nachbarländern und weltweit immer stärker Verwendung findet – nur in Deutschland nicht?

Mit ein paar Hinweisen auf den angeblich heroischen Kampf der Grünen gegen die Kernkraft in der Vergangenheit ist es getan: kein Hinweis darauf, dass wir inzwischen auf Kernkraft aus dem Ausland angewiesen sind, kein Wort über die neuesten Entwicklungen im Bereich der Reaktoren, die die Kernkraft weltweit noch attraktiver und sicherer machen.

Auch darauf nicht, dass deren Nutzung in vielen europäischen Ländern unumstritten war und geblieben ist, zum Beispiel in Frankreich oder in Großbritannien. Die vom deutschen Ausstieg erhoffte und damals von den Grünen propagierte Signalwirkung ist völlig ausgeblieben. Wohl aber haben wir die höchsten Strompreise der Welt.

Vergleichbares beim Thema Immigration. Dass mit Masseneinwanderung irgendwelche Probleme der inneren Sicherheit verbunden sein könnten, davon hat Baerbock noch nie etwas gehört. Es fehlt daher auch ein erkennbares Konzept zur Abschiebung abgelehnter Asylbewerber.  

Baerbocks Botschaft ist simpel: Möglichst viele – von der EU auf alle Mitgliedsländer verteilte – Migranten hereinlassen, möglichst viel (vom Steuerzahler zu bezahlende) Integration in eine immer ,buntere‘ Gesellschaft. Für unerwünschte Nebeneffekte gilt: Schwamm drüber.

Dasselbe mangelnde Problembewusstsein gilt für den Dirigismus der EU. Wenn es nach ihr geht, werden die Einflussmöglichkeiten Brüssels noch gestärkt werden.

Das ganze Buch folgt diesem dogmatischen Strickmuster: Wir Grünen haben die Moral auf unserer Seite, grüne Positionen sind beschlossene Sache, die Partei wird bei den kommenden Bundestagswahl an die Macht kommen, deshalb lohnen sich konkrete Sachdiskussionen gar nicht mehr.

Denjenigen unter den Lesern, die unüberzeugt bleiben, wird signalisiert: Wir kommen, stell‘ dich auf uns ein (oder tu zumindest verbal so), und damit basta. Von Dialog- oder Diskussionsbereitschaft, von der vielgerühmten ,Debattenkultur‘ keine Spur.

Deshalb ist es kein Zufall, dass das Buch im Anhang kein Stichwortverzeichnis zu einzelnen Sachthemen enthält, das es ermöglichen würde, längsschnittartig das Buch zu durchkämmen und alle Aussagen zu einem bestimmten Punkt vergleichend zu sichten: Die Ausbeute wäre zu mager. 

Bezeichnend ist Baerbocks Darstellung des ,Kampfes gegen Rechts‘. Eine diabolische Macht, ,die Rechte‘, ist es, die überall im Hintergrund lauert und versucht, bei Themen wie Klimawandel oder Corona-Politik Unfrieden zu stiften (vgl. S.121) – so als ob diese Themen an sich keinen Anlass für kontroverse Meinungen bieten würden. Dasselbe Muster findet sich bei ihren Ausführungen zu den USA: „Es lässt sich nicht schönreden, dass rund 74,2 Millionen US Bürger*innen für Trump gestimmt haben“ (S. 202). Damit hat sich‘s: irgendein Versuch, die Ursachen zu analysieren, fehlt. Die Wahlkämpfe H. Clinton – D. Trump und J. Biden – D. Trump waren jeweils ein Kampf zwischen Gut und Böse.

Als Baerbock auf die Polizei zu sprechen kommt (S.166), geht es natürlich sofort um den Schutz vor Rechts-Extremismus. Kein Wort über die unappetitlichen Beziehungen zwischen ihrer eigenen Partei und der stets gewaltbereiten Antifa oder über die Gefahren des Islamismus. Auch die Sicherheits-Probleme des von den Grünen mitregierten ,Reichshauptslums‘ (A. Wendt) Berlin: nicht vorhanden. Rigaer Strasse, Görlitzer Park, Breitscheidplatz, auch die Kölner Silvesternacht: Fehlanzeige.

Ein weiteres Grund-Dogma der Grünen ist die Überzeugung, dass möglichst viel Staat vonnöten ist. Wer etwa Befürchtungen vor künftigen Klima-Lockdowns hegt, dem kann nach der Lektüre dieses Buches keineswegs Entwarnung gegeben werden. Eigenverantwortung und schlanker Staat sind für Baerbock Ideen von gestern. Apodiktisch heisst es:

„Wo der Staat sich zurückzieht oder zurückgedrängt wird, wächst Ungleichheit und vertiefen sich Risse“ (S. 135). Was meint sie mit ,Ungleicheit‘?

Das Buch ist auf seine Art ein page-turner: Nicht etwa, weil es mit Verve oder Esprit geschrieben wäre – im Gegenteil –, sondern weil es die aus dem Fernsehen bekannten Formeln und gestanzten Phrasen so aneinanderreiht, dass der Inhalt ganzer Abschnitte schon nach der ersten Zeile prognostizierbar ist.

Zum Teil bedient Baerbock sich einer schlampig-kolloquialen Diktion, zum Teil stolpert sie durch hölzerne Schachtelsätze. Dass der Text nicht den Hauch von Humor, Ironie oder gar Selbstironie enthält, braucht bei einer Politikerin der Grünen nicht eigens hervorgehoben zu werden (dafür gibt es aber jede Menge Gender-Sternchen).

Wer Jürgen Trittin und Christian Ströbele mag, wer das Antlitz der Claudia Roth oder das der Renate Künast sympathisch findet, der wird auch dieses Buch als Bereicherung empfinden; wir anderen nicht.