Mit Cindy in der Oper
Wer aus der Perspektive des Philologen verfolgt, wie im Deutschland unserer Tage Debatten geführt (oder abgewiegelt!) werden, dem ist es nicht entgangen: Es haben sich einige bedenkliche rhetorische Strategien eingebürgert. Drei repräsentative Beispiele.
Zunächst der Einsatz der Hyperbel, also der rhetorischen Übertreibung, um den politischen Gegner zu treffen. Sie ist eines der vulgärsten rhetorischen Mittel, denn als verbale Gewalt ist sie pöbelnde Vorstufe realer Gewalt.
Dass etwa dem – sich selbst und seinen Anhängern als klug geltenden – CDU-Politiker F. Merz die politische Konkurrenz von rechts, also die AFD, nicht behagt, ist nachvollziehbar. Die Partei jedoch als „offen nationalsozialistisch“ zu bezeichnen, dürfte selbst manchem seiner Parteifreunde zu weit gehen.
In der Bundestagsdebatte zum Migrationspakt setzte ein SPD-Redner noch einen drauf. Da die Debatte am 8. November stattfand, stellte er die Kritik am Pakt in peinlichem Pathos in eine Reihe mit den Pogromverbrechen des 9. November 1938.
Ein weiteres Beispiel ist ein neuer Sprachgebrauch, der in diesen Monaten von den Medien durchgesetzt wird: Alle Arten von echten oder unterstellten Vorurteilen gegen gesellschaftliche Gruppen werden pauschal als ,Rassismus’ bezeichnet, um so mit rhetorischer Maximalkeule auf den politischen Gegner einzudreschen.
In dieselbe Richtung geht auch, dass A. Merkel Kritiker als Lügner brandmarkt, weil sie den verschwurbelt formulierten, in zwei voneinander abweichenden Versionen (Englisch und Deutsch) vorliegenden Migrationspakt anders lesen als sie. Für die Europawahlen 2019 fordert sie Sanktionen gegen Verbreiter von Fake News. The kettle calling the teapot black.
In früheren Zeiten griff manchmal mäßigend der jeweilige Bundespräsident in hitzige Debatten ein; von Steinmeier ist – auch hier – nichts zu erwarten.
Eine zweite Technik ist die der ,Widerlegung durch Assoziation’. Wann immer etwa die beiden Politiker Boris Palmer (Die Grünen) und Sarah Wagenknecht (Die Linke) Meinungen vertreten, die der Orthodoxie ihrer Parteien zuwiderlaufen, wird ihnen um die Ohren gehauen, ihre Ansichten seien ,rechts’, ,populistisch’ oder – der schlimmste Bannfluch –,islamfeindlich’. Über die inhaltliche Qualität ihrer Positionen sagt das nichts – die Assoziation mit den Bösen reicht.
In der Bundestagsdebatte zum Migrationspakt hieß es, man brauche sich nur anzusehen, wer nicht unterzeichne: Trump und Orban. Inzwischen, wo jeden Tag ein anderes Land aus dem Pakt aussteigt, ist dieses ,Argument’ brüchig geworden.
Die dritte Strategie zielt darauf ab, unerwünschte Themen gar nicht erst zu diskutieren, dem demokratischen Diskurs also den Todesstoß zu versetzen. So ist von manchen Politikern immer wieder die bloße Tatsache der Fernsehberichterstattung über die Migration kritisiert worden. Ohne die Berichterstattung wäre da gar kein Problem!
In die Debatte zum Migrationspakt griff für die SPD eine bis dahin unbekannte Claudia Moll ein, nach Auftreten und Diktion eine Cindy aus Marzahn: „Und wissen Sie, was isch gerade tue? Isch schäme misch fremd.“ Und zwar, weil der Pakt überhaupt debattiert wurde.
Der Journalist Alexander Wendt hat auf seinem Blog Publico einen Vorgang aufgedeckt, der exakt in diesen Kontext passt. Am 9. November 2018 veröffentlichten 40 Dresdner ,Kulturinstitutionen’ einen flammenden Aufruf ,gegen Rechts’. Unter den Unterzeichnern befand sich auch die Semperoper, immerhin eine Institution von fünfhundert Angestellten. Das rief Wendts Neugier hervor: Wie war diese Meinungsäußerung eigentlich hausintern ermittelt, demokratisch abgesichert worden?
Ganz einfach, wie sich bald herausstellte: Der Bayazzo-Intendant hatte nach bester DDR-Manier kurzerhand für alle 500 unterschrieben, ohne sie zu fragen. Auf Wendts Nachfrage erklärte der Sprecher der Oper, wer nicht einverstanden sei, könne sich ja nachträglich distanzieren! Um dann wahrscheinlich rausgeschmissen zu werden.
Einer der bekanntesten Slogans der siebziger Jahre war Willy Brandts ,Mehr Demokratie wagen’. Nichts davon ist unter Merkel geblieben. Es ist nicht zufällig, dass immer wieder neue Aufrufe, Listen, Erklärungen gegen Rechts, für Buntheit, für Migration erscheinen. Es handelt sich ja um ein kollektivierendes Format der Meinungsäußerung; der Aufruf vom November nannte sich daher auch ,Dresdner Erklärung der Vielen’. Es ist ein Boot, in das es auch die zu zerren gilt, die sich sträuben.
Und auch dies ist kein Zufall: Die bis vor ein paar Jahren in Politik und Bildungswesen allgegenwärtigen Appelle, junge Leute müssten als kritikfähige Staatsbürger alles skeptisch prüfen, sind verschwunden, und zwar mitsamt dem dazugehörigen Jargon, von hinterfragen bis problematisieren.
Mehr Demokratie wagen? Demokratie wird wieder zum Wagnis.