Vom Glanz zum Knast

 

Georg Philipp Harsdörffer (1607 – 1658):

 

Sprachen.

 

Die Ebreische Sprache.         

Jch bin deß Höchsten Sprach / mein dunkle Wunderart /

Hat die Geheimnissen seins Willens offenbart.

 

Die Teutsche Sprache

Mein rein und reiches Wort / mein schikliches Vermögen /

Kan andrer Zungen Zier mit Ehre niderlegen.

 

Die Niederländische Sprache.

Mich schmuket mein Poet / daß ich mit reichem Pracht /

Zu gleichen nun beginn / meins Volkes grosser Macht.

 

Die Griechische Sprache.

Die Kunst und Wissenschaft hab erstlich ich erfunden:

Mir ist der Musen Schaar verpflichtet und verbunden.

 

Die Lateinische Sprache.

Rom ist mein Vaterland / da bin ich reich gewesen /

Vnd nun von dar verjagt / im Teutschenland genesen.

 

Die Welsche Sprache.

Der Goth hat mich erzeugt mit Schmertzen / Angst und Plag /

Deßwegen meine Schön’ der Mutter ahmet nach.

 

Die Frantzösische Sprache

Mein Freund- und Lieblichkeit der Fremde liebt und ehrt /

Jn dem er mich erbuhlt / so ist sein Gelt verzehrt.

 

Die Spanische Sprache.

Jch hab ein andre Welt nunmehr genommen ein /

Die ich beherrschen soll / weil diese mir zu klein.

 

Die Englische Sprache.

Jch bin von Teutscher Art / und hab genommen zu /

An Kunst und Zierlichkeit / nun mangelt mir die Ruh.

 

Die Sclavonische Sprache.

Jch bin die letzte nicht an Ehren und Verstand /

Weil meines Munds Gewerb durchwandert grosse Land.

 

 

Aus:                      Spielreimen.

     Dergleichen Bey Außübung der Gesprächspiele /

 Zu Widerlösung der Pfande / Beliebet werden mögen.

 

 

Text nach: Epochen der deutschen Lyrik Band 4, 1600 – 1700. Nach den Erstdrucken in zeitlicher Folge hrsg. von Christian Wagenknecht, 2. verbesserte Auflage, München (dtv) 1976, S. 146

 

Diese Reime las ich in der angegebenen dtv-Anthologie, dem vierten Band einer zehnteiligen Sammlung deutscher Gedichte. Die Ausgabe enthält kaum Erläuterungen; hier mein eigener – natürlich nicht professionell germanistischer – Kommentar.

Die schlichten Verse sind als Rätselaufgaben für Rate- und Pfänderspiele gedacht. Sie stellen ein Auswahl europäischer Sprachen vor, zuallererst jedoch das Hebräische. Die jeweilige Sprache wird in ihrer Eigenart charakterisiert, etwa das Deutsche, oder sie steht metonymisch für die in ihr geschriebene Literatur, so das Griechische, oder ihr Geltungsbereich wird thematisiert, so der des Spanischen.

Warum werden zuerst Hebräisch und Deutsch genannt? Zum einen aufgrund ihrer Bedeutung für den Autor, weil so der Sprache Gottes im Alten Testament die eigene Muttersprache folgt. Außerdem war Harsdörffer – Dichter, Übersetzer, Sprachwissenschaftler – der Überzeugung, das Deutsche stamme unmittelbar vom Hebräischen ab.

Er nennt das Deutsche „rein und reich“, also von Fremdeinflüssen frei und ausdrucksstark. Harsdörffer richtete sich Zeit seines Lebens gegen die Übernahme von Fremdwörtern und trug das Seine zu ihrer Eindeutschung bei. Ein zentraler Begriff ist hier ,schicklich’. Das „schickliche Vermögen“ der deutschen Sprache, also ihre Eignung, Gegenstände sowohl anschaulich als auch exakt zu bezeichnen, zieht er der Schönheit (der ,Zier’) anderer Sprachen vor. Die Ausdruckskraft (das ,Vermögen’) des Deutschen kann deren Schönheit ,niederlegen’ (im älteren Sprachgebrauch für: besiegen).

Es folgt das Niederländische. Die Sprache der Seemacht wird durch ihren Poeten prachtvoll geschmückt (,Pracht‘ ist hier noch als Maskulinum verwendet). Der Dichtername darf natürlich im Ratespiel nicht genannt werden. Wer ist gemeint, der große Dichter und Dramatiker Joost van den Vondel (1787 – 1679)? Es ist auch möglich, dass der Poet kollektiver Singular sein soll, dass also die niederländische Dichtkunst allgemein gemeint ist.

Das nächste Rätsel ist leicht zu lösen. Hellas ist Wiege des Abendlandes, das Griechische Ursprache der europäischen Kultur, die in dieser Sprache, so Harsdörffers Pleonasmus, „erstlich erfunden“ wurde. Die neun Mοῦσαι, die Schutzgöttinnen der Künste und Wissenschaften, Töchter des Zeus und der Mnemosyne, der Göttin der Erinnerung, sind daher dem Griechischen als ihrem Herold zu Dank verpflichtet.

Das Lateinische ist aus Italien verschwunden, durch das ,Welsche’, das Italienische, verdrängt, lebt aber als das Neolatein der Gelehrten in Deutschland weiter. Natürlich nicht nur dort, aber, das will jedenfalls Harsdörffer ausdrücken, vor allem in Deutschland. Goten fielen in der Völkerwanderung plündernd in Italien ein, eroberten es, und die Sprache der Goten verband sich mit dem Lateinischen zum Italienischen, ein Vorgang, den Harsdörffer als Vergewaltigung metaphorisiert. Das Lateinische lebt nicht mehr, aber das Italienische bewahrt die Schönheit seiner ,Mutter’.

Das Toskanische musste sich im italienischen Sprachenstreit mühsam gegen das Lateinische als Sprache von Dichtung und Wissenschaft durchsetzen. Einer der Gründe, die die Humanisten für das Lateinische ins Feld führten, war die angebliche Verschandelung der Sprache durch das Gotische; bei Harsdörffer ist davon keine Rede: die Schönheit des Lateinischen ist im Italienischen gegenwärtig.

Ein boshafter Hieb gilt dem Französischen. Es ist zwar oberflächlich schön, aber die geistigen Inhalte, die es vermittelt, sagen Harsdörffer nicht zu. Er vergleicht es mit einem Luder, das den Freier um sein Geld prellt. Wer Französisch lernt, so lautet das Pauschalurteil, wird am Ende enttäuscht, steht mit leeren Händen da. Bemerkenswert ist, dass der Dichter voraussetzt, dass seine Beschreibung ein eindeutiger clue für das Erraten ist.

Bei der Charakteristik des Spanischen dagegen steht die Macht der spanischen Krone im Vordergrund, zur Zeit Harsdörffers – unter Philipp III. und Philipp IV. – längst im Absteigen begriffen. Das Kastilische wurde doppelte Weltsprache, die der Alten Welt und die des Nuevo Mundo.

Das Englische ist „von Teutscher Art“, eine Tochter des Deutschen. Die Sprache hat sich von ihren altenglischen Anfängen bis zu den Tagen Harsdörffers, dem 17. Jahrhundert, entwickelt und verfeinert: Sie ist an „Kunst und Zierlichkeit“, also an Ausdrucksfähigkeit und an Differenziertheit, gewachsen. Sie hat darüber aber die ,Ruhe‘ eingebüßt. Eine dunkle Stelle diese Rätselverses. Unmöglich kann die Satzmelodie gemeint sein, die ja im Englischen ausgeglichener ist als im Deutschen. Etwa die Sprechgeschwindigkeit?

Sie ist im Durchschnitt nicht höher als im Deutschen. Allerdings ermöglichen es die Bindungen, die mehrere Wörter zu einer einzigen Ausspracheinheit verschmelzen, dem der will, gewissermaßen „ohne Komma, ohne Pause“ zu sprechen. Dass jedoch schnelles, temperamentvolles Sprechen typisch für die Engländer ist, wäre mir neu; die beiden Begriffe ,Temperament’ und ,Engländer’ bilden keine übliche assoziative Einheit. Die Stelle bleibt (für mich) also kryptisch.

Das Slowenische, „die sclavonische Sprache“, das Harsdörffer ausdrücklich mit einem last but not least würdigt, ist die Sprache fern ihrer Heimat anzutreffender Gewerbetreibender, also Handwerker und Händler. „Meines Munds Gewerb“ („meines Munds“ ist offensichtlich vorangestellter genitivus qualitatis) steht für „Gewerbetreibende, die sich meiner bedienen“.

Harsdörffers Herz schlägt natürlich für das Deutsche. Der von ihm gerühmten Anschaulichkeit, Verständlichkeit, Exaktheit seiner Muttersprache setzen die anderen Sprachen in diesen Versen nichts Gleichwertiges entgegen.

Ein Blick in die Zeitung, Pardon, aufs Smartphone zeigt, dass von diesem Glanz nicht allzu viel geblieben ist. Es fehlen Streiter für das Deutsche vom Formate Harsdörffers.

Die Germanistik unserer Tage ‚problematisiert’ pflichtgemäß alle Sprach- und Stilnormen, sie lehnt Sprachpflege ab. Die Kritik an grammatikalischem Schlendrian, an ,Kiezdeutsch’ oder am Kollaps der Orthographie weisen die Problematisierer entrüstet als Eingriff in den natürlichen Fluss der Sprache zurück, ja als Deutschtümelei. Und natürlich streiten dieselben Beliebigkeitsgermanisten in vorderster Linie, wenn es gilt, Zäune sprachpolitischer ,Korrektheit’, also des Genderwahns, der Nichtdiskriminierung und dergleichen mehr, zu errichten. Ihr ,progressives’ Walten und Wirken exekutieren sie selbstverständlich teutonisch beflissen und ironiefern. Dass Zäune nicht nur ein-, sondern auch ausgrenzen (das Schreckenswort!) – in diesem Fall diejenigen, die nicht bereit sind, sich ihre Sprache und ihr Denken von anderen reglementieren zu lassen – ist den progressiven Streitern gleichgültig.

Und so wird ,man’ zu ,frau’, Lehrer werden ,Lehrkräfte’, aus Studenten werden ,Studierende’, aus Migranten Flüchtlinge, aus Flüchtlingen ,Flüchtende’, aus ,Flüchtenden’ SozialhilfeempfängerInnen.

Die/der/* ,Sprechende’, die/der/* sich folgsam den Regeln dieses politisch korrekten Sprachknasts fügt, darf sich ansonsten ungeniert so äußern wie ihr/ihm/*  der Schnabel gewachsen ist (und dabei noch jeden duzen).