Vor die Füße

Woher stammt eigentlich die Metapher ,jemandem einen Vorwurf machen‘ für ,jemanden anklagen‘?

„Dieser Ausdruck hört sich eigentlich gar nicht nach einer mittelalterlichen Redewendung an, gar nicht so, als ob er seine Wurzeln weit in der Vergangenheit hätte. Aber wenn man darauf achtet, dass im Substantiv ,Vorwurf‘ das Verb ,werfen‘ enthalten ist, fragt man sich, wer hier wem etwas vorwirft. Damit sind wir wieder bei den mittelalterlichen Rechtsbräuchen, in diesem Fall aus der Constitutio Criminalis Carolina von Karl V., dem ersten einheitlichen deutschen Strafgesetzbuch von 1532. Es war nämlich zum Abschluss eines Verfahrens, das mit dem Todesurteil endete, üblich, dass der Richter über dem Verurteilten seinen Gerichtsstab zerbrach, was ausdrücken sollte, dass keine Berufung mehr möglich war. Die Redewendung Über jemanden den Stab brechen mit der Bedeutung ,jemanden verurteilen‘ kommt daher. Dann machte der Richter den besagten Vorwurf: Den zerbrochenen Stab warf er nämlich dem Verurteilten vor die Füße mit den Worten: ,Nun helf‘ dir Gott, ich kann dir nicht mehr helfen!'“ (1)

Zu ,Stab‘ finden wir im Handwörterbuch der deutschen Sprache eine Begriffserklärung und -abgrenzung, die das Obengesagte noch ergänzt:

„Stock (verwandt mit Stück) bezeichnet einen zum Führen in der Hand bestimmten Abschnitt eines dickeren Holzstämmchens schlechthin; es ist der einfache Ausdruck dafür. Stab ist ein edlerer Ausdruck, der einen Stock nach seiner Form und Bestimmung bezeichnet, z.B. der Krummstab, Hirtenstab, Pilgerstab, Zauberstab, Wanderstab, Bettelstab, Marschallstab usw. Dagegen hat der Stock keine zu einer ähnlichen Bestimmung besonders erwählte Form.“ (2)

Womit geklärt wäre, warum nie ein Stock über jemanden gebrochen wird …

(1) Gerhard Wagner, Das geht auf keine Kuhhaut. Redewendungen aus dem Mittelalter, Darmstadt (WBG) 2011, S. 48.

(2) Johann August Eberhard, Synonymisches Handwörterbuch der deutschen Sprache, überarb. von Otto Lyon, 17. Auflage 1910.