Vorfahren? Welche Vorfahren?

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Dass die Germanen das Volk unserer Vorfahren waren gilt uns als ausgemachte Sache, ist es aber nicht, wie ein Blick auf das Englische zeigt, wo es nur ein Wort gibt, Germans, das sowohl die Germanen als auch die Deutschen bezeichnet, uns also ohne Umschweife mit unseren Altvorderen und ihren rauhen Sitten in einen sprachlichen Topf wirft. Problematisch ist aber auch unsere Verwendung des Epithetons ,alte’ Germanen, das die Betroffenen gewissermaßen zu einem Zustand ewigen Greisentums verdammt.

Auch in unserm Nachbarland Frankreich liegt die Sache mit den Vorfahren nicht so einfach, wie uns das zunächst scheinen könnte.

In der in Frankreich beliebten Taschenbuchserie Gallimard Découvertes heißt ein Titel ,Nos ancêtres les Romains’. ,Unsere Vorfahren, die Römer’? Würde man nicht ,Nos ancêtres les Gaulois’ erwarten? Die Antwort auf die Frage ergibt sich aus zwei weiteren Bänden derselben Reihe, ,L’Europe des Celtes’ sowie ,Quand les Gaulois étaient Romains’: Nach der Eroberung durch Julius Cäsar setzte die rapide Romanisierung Galliens ein, die lateinische Sprache verbreitete sich überall und wurde zur Grundlage des modernen Französisch, eine spezifisch gallisch-römische Mischkultur entstand. Allerdings: Selbstverständlich finden sich, wie eine kurze Google-Recherche ergibt, nicht nur Bücher mit dem Titel ,Nos ancêtres les Gaulois’, sondern auch mit dem Titel ,Nos ancêtres les Francs’; die Franken waren es schließlich, die Land, Einwohnern und Sprache ihre Namen gaben.

Zurück zu ,Nos ancêtres les Romains’ (R. Hanoune, J. Scheid; 2003 (1993)) und ,Quand les Gaulois étaient Romains’ (F. Beck, H. Chew; 2008 (1989)). Beide Bände sind – wie von Gallimard Découvertes gewohnt – hervorragend bebildert und dokumentiert. Zahlreiche Farbaufnahmen veranschaulichen den Siegeszug römischer Kultur in allen Lebensbereichen Galliens. „En 52 av. J.-C., la Gaule est conquise … Mais Alésia n’est pas la fin de la Gaule. Rome unifie et organise le pays, propose à ses habitants un mode de vie qu’ils adoptent volontiers. Les Gaulois assimilent de nouveaux usages et, les mêlant à leurs traditions, créent une civilisation originale, la civilisation gallo-romaine, qui s’épanouit pendant plus de deux siècles de paix.“ (,Quand les …’, S. 13)

Insbesondere in den beiden südfranzösischen Städten Nîmes und in Arles finden sich noch heute bedeutende architektonische Zeugnisse der Römerzeit. Auf S. 21 in ,Quand les Gaulois …’ ist ein besonders schöner Fund aus Arles abgebildet, die Marmorkopie eines Ehrenschildes für Augustus. Auf diesem Rundschild ist eine Inschrift eingraviert, die auch auf der Fotografie klar leserlich ist.

Die Erläuterung zu dem Foto lautet: „Copie, trouvée en Arles, d’un bouclier de Vertu offert par le Sénat à Auguste en 27 av. J.-C.“. Da sich in dem Buch nichts Näheres zu der Inschrift und ihrem Kontext findet, hier zunächst der vollständige Text plus Übersetzung:

Senatus populusque Romanus imperatori Caesari divi filio Augusto consuli VIII (=octavum) dedit clupeum virtutis, clementiae, iustitiae, pietatis erga deos patriamque.

Der Senat und das römische Volk haben den Imperator Caesar Augustus, Sohn des vergöttlichten Caesar [der Oktavian, den späteren Augustus, adoptiert hatte], zum achten Mal Konsul, mit diesem Ehrenschild für Tüchtigkeit, Milde, Gerechtigkeit, Frömmigkeit gegenüber den Göttern und dem Vaterland ausgezeichnet.

Das Original des Ehrenschildes war, wie Augustus uns in seinem Tatenbericht mitteilt, aus Gold. Er rühmt sich dieser Auszeichnung:

In consulatu sexto et septimo, postquam bella civilia exstinxeram per consensum universorum potitus rerum omnium, rem publicam ex mea potestate in senatūs populique Romani arbitrium transtuli. Quo pro merito meo senatūs consulto Augustus appellatus sum et laureis postes aedium mearum vestiti publice coronaque civica super ianuam meam fixa est et clupeus aureus in curia Iulia positus, quem mihi senatum populumque Romanum dare virtutis clementiae et iustitiae et pietatis causā testatum est per eius clupei inscriptionem. Post id tempus auctoritate omnibus praestiti, potestatis autem nihilo amplius habui quam ceteri, qui mihi quoque in magistratu conlegae fuerunt. (Res Gestae, VI, 34)

In meinem sechsten und siebten Konsulat [also 28 und 27 v. Chr.] habe ich, nachdem ich den Bürgerkriegen ein Ende gesetzt hatte und mit Zustimmung der Allgemeinheit zur höchsten Gewalt gelangt war, den Staat aus meiner Macht entlassen und wieder der Entscheidungsfreiheit des Senats und des römischen Volkes übertragen. Für dieses mein Verdienst wurde ich auf Senatsbeschluss Augustus, ,der Erhabene’, genannt, die Türpfosten meines Hauses wurden öffentlich mit Lorbeer geschmückt, der Bürgerkranz über meiner Tür angebracht sowie ein Goldschild in der Curia Iulia [also dem Sitzungsgebäude des Senats] aufgehängt, den mir Senat und Volk von Rom verliehen aufgrund meiner Tüchtigkeit, Milde, Gerechtigkeit und Pflichttreue, wie die auf diesem Schild angebrachte Inschrift bezeugt. [in der griechischen Parallelversion: „ἀρετὴν καὶ ἐπείκειαν καὶ δικαιοσύνην καὶ ἐυσέβειαν ἐμοὶ μαρτυρεῖ“] Seit dieser Zeit überragte ich zwar an Einfluss und Ansehen alle, Macht aber besaß ich nicht mehr als diejenigen, die meine Kollegen in irgendeinem Amt waren.

Der abgebildete Schild führt also unmittelbar in den Prinzipat des Augustus und in die Selbstdarstellung des Herrschers.