BUNT! Oder doch nicht?

Kaum ein deutsches Adjektiv dürfte in jüngerer Zeit eine solche Karriere gemacht haben wie das Wörtchen BUNT. Das Wort stammt  – fern sei es mir, hier wichtigtuerisch zu schreiben: „bekanntlich“ – vom lateinischen Partizip punctus,-a,-um (zum Verb pungere: stechen, sticken), das im Mittelalter bunte Stickereien auf Textilien bezeichnete. So die Auskunft des Standardwerks Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache von Friedrich Kluge (s.v. bunt). Die beiden Wörter Punkt und bunt sind also Doubletten.

In den letzten Jahren ist BUNT in einem neuen Bereich – nunmehr zur Metapher geadelt – heimisch geworden, in dem der Politik. Wenn Advokaten von LGBTQ das Wort ergreifen, ist dieses Adjektiv oft nicht mehr weit. In erster Linie aber verwenden alle Verteidiger der Einwanderung das Wort. Es soll eine multi-ethnische Gesellschaft bezeichnen.

So wie sich das Auge an Farben und Farbabstufungen ergötzt, so dient das Wort BUNT dazu, eine multi-sexuelle, multi-ethnische, multi-kulturelle Gesellschaft zu bejahen, häufig in der Formulierung „bunt und vielfältig“. Diese binäre Kombination ist inzwischen in Deutschland allgegenwärtig: auf Plakaten, in Lehrplänen, an Kindergärten, auf Bussen, in den Reden der Politiker, in Predigten von politisch-korrekten Kanzeln, bei Edeka, Lidl, Aldi, in den Verlautbarungen von Steinmeier hinab bis zur:m letzten CDU/SPD/FDP/GRÜNE/LINKE-Ortsvorsitzenden.

Stolze zweihundertvierzehntausendmal findet man die Kombination in Google (Stand: 10. März 2024). Dazu kommen noch  einhundertsechsundsechzigtausend Belege für das (sprechrhythmisch weniger attraktive) „vielfältig und bunt“.

Angesichts dieser gigantischen Zahlen stellt sich ein arger Verdacht ein: Hier MUSS so geredet werden, wehe denen, in deren Reden dieses „bunt &vielfältig, vielfältig&bunt“ NICHT mindestens 12x auftaucht. Ihnen droht keine geringere Strafe als die Bezeichnung als rechts, ebenfalls ein Wörtchen, das in den letzten Jahren eine beachtliche Entwicklung erlebt hat: den Sturz kopfüber in den politisch-korrekten Orkus nämlich.

Ein beunruhigender Befund. Denn formelhafte Normierung von Sprache ist ja kein Merkmal lebendiger Debatte, sondern von Meinungslenkung. Von betreutem Denken. Von unappetitlichen Dingen also, die in einer Demokratie verpönt sein sollten, in jeder Diktatur dagegen zum Grund-Inventar gehören.

Werfen wir einen näheren Blick auf die Metapher BUNT. Sie legt nahe, dass sexuelle, ethnische, kulturelle Divergenzen bloße Äußerlichkeiten sind: Wir sind schließlich alle Menschen, und darauf, nur darauf kommt es an. Von seinen mittelalterlichen Ursprüngen her bezeichnet das Wort ja – wie wir dem Etymologischen Wörterbuch entnahmen – nicht das Essentielle, sondern das Oberflächliche. In Langenscheidts Handwörterbuch Lateinisch – Deutsch von Hermann Menge lesen wir, dass das Substantiv color ursprünglich Hülle, Außenseite bedeutet.

Die frühere Kanzlerin A. Merkel hat die Vorstellung von der Beliebigkeit des Staatsvolkes in dem ihr eigenen Sprachduktus, also in spröder Plattheit, zum Ausdruck gebracht, als sie das Substantiv die Deutschen durch den Relativsatz „diejenigen, die schon länger hier wohnen“ ersetzte.

Insofern ist BUNT dem englischen Sprichwort „Beauty is only skin deep“ vergleichbar: „(Physische) Schönheit reicht nur so tief wie die Haut“, dem sanften Trostwort der Häßlichen. Konsequent weiterverfolgt wird die Metaphorisierung von BUNT mit der Fortsetzung ins Infantile: Karneval der Kulturen in Berlin und anderswo.

All dieses Gerede suggeriert, in ganz übel manipulativer Weise, dass Fundamentales trivial sei. Im Hinblick auf die Immigration: Maximale ethnische und kulturelle Unterschiede, so legt es die Metapher BUNT nahe, seien kein ernsthaftes Problem für Deutschland. Das Zusammenleben in einem BUNTEN Deutschland sei so unproblematisch wie ein Kindergeburtstag. Deutschland könne ohne Schwierigkeiten in eine multi-kulturelle Smartie-Röhre transformiert werden. Dass das keineswegs so ist – das zeigt ein Blick in die Zeitung von gestern, von heute, von morgen.

Die pausenlose Repetition dieses Slogans soll beschönigen, dass hier nichts Oberflächliches geschieht, sondern das genaue Gegenteil.  Deutschland wird radikal transformiert, bis ins Mark, was mit riesigen Problemen und mit Gewalt verbunden ist. Davon, dass Einwanderer Anstrengungen unternehmen sollen, sich ihrerseits in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, ist längst kaum noch die Rede.

Die ganze BUNTHEIT-Metaphorik ist ein frecher Affront gegenüber der Bedeutung der ethno-kulturellen Prägung eines Menschen. Kann man sich vorstellen, dass ein gestandener Muslim, etwa ein Imam, der Überzeugung ist, seine Religion sei EINE unter vielen gleichwertigen Farben?

Aus den USA kommen nun seit einiger Zeit Signale, die genau diese BUNTHEITS-Beseeltheit als unverschämte Form der Diskriminierung, ja des Rassismus verdammen!

Ein Beispiel von vielen möglichen: Wir lesen in einem Artikel auf der amerikanischen Internet-Seite EducationWeek, Claiming to Not  See Race leads to Inequity in Education (9.2.2020), von den Erfahrungen, die ein Dr. R. Reeves machte, seines Zeichens Schul-Supervisor und chief academic officer (ein schrecklicher Begriff, klingt wie straight out of 1984). Er ist betraut mit der Schaffung einer positive school culture (diese Bezeichnung klingt ebenfalls Orwellian, genauer gesagt: das Attribut positive ist es, das hier diesen Effekt hat). Er ist an verschiedenen Orten der USA (Syracuse, N.Y., zuvor in Louisiana) tätig gewesen.

Ihn empört, wenn Lehrer sich einfach vor ihre Klassen stellen und sagen: Eure Ethnien, eure Hautfarben zählen hier nicht, ihr seid alle meine Schüler. Sie erdreisten sich, so Reeves, unbekümmert Dinge zu sagen wie: I do not see race. – I see all my students as equal. – Economic status doesn’t matter in my class.

Lehrer, so der Erziehungsoffizier, müssten sich intensiv mit solchen Unterschieden beschäftigen und sie permanent berücksichtigen, statt vorzutäuschen, diese seien im classroom irrelevant.

Da alles, was aus den USA stammt, im Guten wie im weniger Guten, hier in Deutschland imitiert wird, könnte es bald vorbei sein mit der verbalen BUNTHEIT. Ein Fall für unsere academic officers!

Das scheinbar unschuldige Wörtchen könnte von einem fürchterlichen Bannstrahl getroffen werden: dem Vorwurf mangelnder Kultursensibilität.